Hilfskonvoi erreicht Gaza
Galloway beschreibt Situation als „verzweifelt“
von Amy Goodman
08.01.2010 — Democracy Now! / ZNet
Juan Gonzalez:
Ein humanitärer Hilfskonvoi mit Lebensmitteln und medizinischer Hilfe hat Gaza erreicht – fast einen Monat, nachdem er von Großbritannien aufgebrochen war. Die ersten TeilnehmerInnen des Viva-Palestina-Konvois überquerten am Mittwoch den ägyptischen Grenzübergang Rafah. Es wird davon ausgegangen, dass sie die nächsten 48 Stunden damit zubringen werden, die Hilfsgüter zu verteilen.
Der Konvoi war über eine Woche lang aufgehalten worden, nachdem es zu einem Streit mit der Ägyptischen Regierung gekommen war. Wenige Stunden, bevor der Konvoi gestern nach Gaza passieren konnte, wurde ein ägyptischer Soldat bei Zusammenstößen mit palästinensischen Demonstranten erschossen, die sich an der Grenze versammelt hatten, um gegen die Verzögerung zu protestieren. Mindestens 35 Palästinenser wurden verwundet. Am Dienstag war es zu Zusammenstößen zwischen ägyptischen (Sicherheits-)Kräften und Teilnehmern des Viva-Palestina-Konvois gekommen, bei denen mindestens 50 der TeilnehmerInnen verletzt wurden.
Amy Goodman:
Ägypten und Israel unterhalten seit 2007 eine strikte Blockade des Gazastreifens. Nur absolut notwendige Güter der Grundversorgung werden durchgelassen. Der Viva-Palestina-Konvoi für Gaza kommt ein Jahr nach den drewöchigen israelischen Angriffen, bei denen über 1300 Palästinenser getötet wurden.
Der britische Parlamentarier George Galloway steht an der Spitze des Viva-Palestina-Konvois. Er ist uns nun per Telefon aus Gaza zugeschaltet.
Willkommen bei Democracy Now!
George Galloway:
Danke. Guten Morgen.
Amy Goodman:
Können Sie uns sagen, was passiert ist? Wir haben gehört, dass mehrere Leute Ihres Konvois zusammengeschlagen und verletzt wurden, so dass sie ins Krankenhaus kamen.
George Galloway:
Ja, in der Tat wurden 55 verwundet – einige sogar ziemlich ernst.10 mussten ins Krankenhaus, aber alle konnten gemeinsam mit uns nach Gaza einreisen. Allerdings haben wir eine ‚Kollektion‘ von Kopfverletzten und Bandagierten und Leuten mit blutigen Gesichtern oder blutigen Klamotten in unserer Mitte.
Dies zeigt recht deutlich die Rolle der Ägyptische Regierung bei der Belagerung. Gerade haben Sie es auf bewundernswerte Weise beschrieben. Es gab absolut keine Provokation. Es war ein Angriff auf unbewaffnete Zivilisten – sehr beängstigend und brutal. Natürlich passt das zu der Art, wie vor wenigen Tagen mit Teilnehmern des ‚Gaza Freedom March‘ umgesprungen wurde – im Zentrum von Kairo und mitten in der Touristensaison.
Juan Gonzalez:
Wie berichteten die ägyptischen Medien über die Attacke? Hatte die Berichterstattung irgendeinen Einfluss auf die Entscheidung der Ägyptischen Regierung, den Konvoi endlich passieren zu lassen?
George Galloway:
Nun, die gute Nachricht ist, dass niemand in Ägypten die ägyptischen Medien schaut. Alle schauen panarabische Sender, wie Al-Dschasierah – Satelliten-Sender, die die Mauern der Zensur in den Diktaturen der arabischen Welt durchbrochen haben. Daher erfuhren alle Ägypter, was in dem kleinen Hafen el-Arish passiert ist. Die große Mehrheit – davon bin ich überzeugt -, lehnt die Geschehnisse kategorisch ab, verurteilt sie sogar.
Das ägyptische Volk steht absolut hinter den belagerten Palästinensern. Leider haben sie in dieser Hinsicht eine schlechte Regierung, die eine ziemlich miese Rolle spielt – wenige Meter von dem Ort entfernt, an dem ich hier stehe: Die Ägypter bauen eine Mauer der Schande. Dies geschieht mit Hilfe des US-Militärs. Man versucht, die Tunnel zu unterdrücken. Die Tunnel sind aber die einzige Möglichkeit, Leben nach Gaza zu bringen – Schafe, Hühner – oder Petroleum und Benzin und andere Dinge, die das Leben aufrechterhalten, abgesehen von Medizin. Ich muss etwas korrigieren, was Sie vorhin in der Einleitung gesagt haben: Sie sagten, wir brächten Lebensmittel und Medizin (nach Gaza), aber wir bringen nur Medizin, denn Lebensmittel dürfen nicht über den Grenzübergang Rafah von Ägypten nach Gaza transportiert werden. Lebensmittel müssen durch die israelischen Linien. Sie sagen, sie seien besorgt um die Sicherheit der Qualität der Lebensmittel. Sie wollten keine Lebensmittelvergiftungen in Gaza. Sie verstehen schon.
Amy Goodman:
Können Sie uns die Situation in Gaza schildern? Seit dem Angriff auf Gaza ist ein Jahr vergangen. Sie haben bereits letztes Jahr versucht, Hilfe nach Gaza zu bringen.
George Galloway:
(Die Situation) ist verzweifelt. Ich möchte Ihnen nur ein kleines Beispiel nennen. Ich bin hier in einem ziemlich netten Hotel untergebracht. Allerdings gibt es in diesem Hotel nichts zu essen. Es gibt kein Essen zum Frühstück und kein Mittagessen. Ich erwähne dies nur, um Folgendes zu illustrieren: Wenn es schon im besten Hotel von Gaza nichts zu essen gibt, dann können Sie sich vorstellen, wie die Menschen hier leiden. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie palästinensische Frauen und Mädchen durch die frühen Morgennebel gehen und auf Müllhaufen herumwühlen. Sie durchsuchen die Müllhaufen, auf der Suche nach Nahrung. Das ist eine absolut skandalöse Situation für ein muslimisches Land im Jahre 2009/2010.
Amy, erinnern wir uns daran, wie es dazu gekommen ist. Dies ist menschgemacht und keine Naturkatastrophe. Menschen haben dies verhängt, um das palästinensische Volk zu strafen, weil es in einer freien Wahl eine Partei gewählt hat, die Israel und die Großmächte – einschließlich mein und Ihr Land – nicht leiden können. Ich selbst hätte nicht für sie (Hamas) gestimmt. Ich bin kein Unterstützer der Hamas. Doch die Einzigen, die das Recht haben, die Führung der Palästinenser zu bestimmen, sind die Palästinenser selbst.
Amy Goodman:
Sie sind ein Mitglied des Britischen Parlamentes. Haben Sie sich mit irgendjemandem aus der ägyptischen Führung getroffen? Gibt es eine Erklärung, warum der ‚Gaza Freedom March‘ nicht durchgelassen wurde? Man ließ nur rund 100 TeilnehmerInnnen durch. Viele haben unter diesen Bedingungen abgelehnt. Warum hält die Regierung Ägyptens diese Friedensaktivisten davon ab, nach Gaza zu gehen?
George Galloway:
Nun, ich bin froh, sagen zu können, dass wir bei jedem Schritt darauf bestanden haben, dass unser gesamter Konvoi nach Gaza hinein darf. Wir haben uns geweigert, el-Arish ohne unsere „Gefangenen“ zu verlassen (6 von uns, die von (Sicherheits-)Kräften der Ägyptischen Regierung gefangen gehalten wurden). Wir haben es auch nicht akzeptiert, dass einige TeilnehmerInnen des Konvois aus Ägypten ausgewiesen werden sollten. Sie sollten ursprünglich ausgeschlossen werden, aber am Ende kamen alle gemeinsam mit mir nach Gaza hinein. Was die Solidarität angeht, so bin ich stolz auf das Erreichte.
Nein, es gibt keine Erklärung vonseiten des ägyptischen Regimes – überhaupt nicht. Wie auch? Wie könnte man irgendjemandem verständlich machen, dass Ägypten – ein Land, im Herzen der arabischen Welt – an einer Mauer der Schande baut, die diese leidenden Menschen einschließen soll? Im Grunde hofft man, sie auszuhungern, damit sie aufgeben. Aber wenn sie nicht aufgeben, sollen sie dann etwa sterben?
Juan Gonzalez:
George Galloway, wie schätzen Sie die Palästinenserführung ein, wenn es um das Thema US-Politik geht? Die Obama-Administration ist ja nun ein Jahr alt. Einerseits hat Obama versucht, auf die arabische Welt zuzugehen – in einer Weise, wie es die Bush-Administration niemals tat -, aber wenn es um Palästina und den Konflikt mit Israel geht, ist nicht viel von Wandel zu erkennen.
George Galloway:
Nun, leider muss ich Ihnen sagen, Juan, dass hier, in Palästina, eine große, bittere Enttäuschung herrscht – in erweitertem Sinne auch über die Rolle, die Präsident Obama derzeit spielt, beziehungsweise nicht spielt. Ich selbst war einer von denen, die in ihren Radio- und Fernseh-Shows etc. für Barack Obamas Wahl eingetreten sind. Ich bemühte mich sehr, linksgerichtete Menschen davon zu überzeugen, dass sie eine utopischen Fehler begehen würden, sollten sie Obama nicht unterstützen. Und seine Rede in Kairo war ein prächtiges Stück Arbeit. Es war hypnotisierend. Es überzeugte die öffentliche Meinung Arabiens, dass es – nach den Bush-Jahren – endlich etwas Hoffnung für uns gab. Doch in der Praxis ist seine Politik – wenn wir unterstellen, dass Hillary Clinton für deren Umsetzung zuständig ist -, für die Menschen hier genau dieselbe wie die der Bushiten. Darüber herrscht bittere, bittere Enttäuschung.
Amy Goodman:
George Galloway, vielen Dank, dass sie uns zugeschaltet waren. George Galloway ist Abgeordneter des Britischen Parlamentes. Er hat den Konvoi ‚Viva Palestina‘ geleitet. Der gesamte Konvoi gelangte gestern – über Ägypten – in den Gazastreifen. Zuvor hatte es enorme Konflikte gegeben. Eine Reihe der (Delegierten) TeilnehmerInnen des Konvois waren zusammengeschlagen worden.
http://zmag.de/artikel/hilfskonvoi-erreicht-gaza
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