Die IDF nimmt Trauer als Feigenblatt für Siedler

von Gideon Levy

18.04.2010 — Ha’aretz

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Wer sagt denn, Barak sei unsensibel? Wer klagt Gabi Ashkenazi an, der schweigende Typ zu sein? Und wer verdächtigt sie, sie könnten nicht zusammenarbeiten? Der Verteidigungsminister und der Stabschef standen Ende letzter Woche zusammen und verhinderten die Zerstörung eines illegalen Außenposten (Siedlung) von Givat Hayovel. Einige der Häuser wurden auf privatem palästinensischem Land gebaut; mit andern Worten auf gestohlenem Land und andere wurden auf „Staatsland“ und „Survey-Land“ (angeblich unklare Besitzverhältnisse) – weitere missverständliche Begriffe, die aus Israels unerschöpflichem Vorrat von Tricks stammen.

Die IDF zieht aus ihrem Vorrat einen besonders lächerlichen Grund, den wir seit einiger Zeit nicht gehört haben: Diese Häuser sind „wichtig für die Sicherheit, weil sie „Punkte kontrollieren, wo die IDF-Präsenz „wichtig“ sei. Als ob die IDF nicht an solchen Orten ohne diese Häuser sein könnte.

Barak und Ashkenazi gingen für diese Aufgabe zusammen hin, weil trauernde Familien in zwei dieser Häuser leben: die Familie von Major Roi Klein, der im 2. Libanonkrieg getötet wurde, und die Familie von Major Eliraz Peretz, der vor drei Wochen an der Gazagrenze getötet wurde. Es ist nicht ganz klar, ob diese vereinigte Front an der Spitze gedacht war, nur um die Zerstörung der Häuser der beiden Familien zu verhindern oder von allen 18 Häusern, wie der Oberste Gerichtshof befohlen hat. Beide Möglichkeiten lassen ernsthafte Fragen hochkommen. Wäscht das Blut der im Kampf Gefallenen ihre Schuld weg? Wie können wir unterscheiden zwischen einem illegalen Siedler und einem anderen. Warum sollte der Palästinenser, dessen Land genommen wurde, sich darum kümmern, wenn einer der Siedler bei einer Militäraktion getötet wurde? Hier ist das verdammte Ding: ausgerechnet an dem Tag, an dem Barack und Ashkenazi einen emotionalen Brief an die Präsidentin Dorit Beinisch

veröffentlichten und darum baten „Rücksicht zu nehmen und Einfühlsamkeit“ zu haben, zerstörten die IDF andere Häuser.

Die Bulldozer der Zivilen Verwaltung zerstießen ein zweistöckiges Haus und zwei Läden in Kifl Haris, während gleichzeitig ein Wohnhaus und eine Fabrik in Beit Sahour und noch eines in Al-Khader zerstört wurden. Sechzehn Leute wurden obdachlos, unter ihnen Kinder und ein einjähriges Baby. Die Leute der Zivilverwaltung machten sich die Mühe und betonten, dass dies nur der Anfang einer Zerstörungsoperation sei.

Es ist in der IDF noch keinem eingefallen, nachzufragen, ob vielleicht in der Sultan-Familie in Kifl-Haris oder bei der Musa-Familie in El-Khader mildernde Umstände vorliegen könnten, die „Rücksicht und Sensibilität“ rechtfertigen. Könnten sie vielleicht auch einen Sohn verloren haben? Und wenn es so wäre, würde jemand daran gedacht haben, die Zerstörung des Hauses deswegen zu stoppen. Lassen uns die IDF, die Zivilverwaltung, Barak, Ashkenazi und alle anderen nicht lachen. Jene sind doch Palästinenser und keine Menschen.

Die Zerstörung der Häuser in Givat Hayovel wurde 2001 entschieden, als jeder in den Familien noch lebte. Sie bauten ihr Haus rücksichtslos, ohne Genehmigung und sie wussten, dass sie Land raubten. Es gibt noch viele Siedler wie sie.

Dies war die Ursünde, der die Sünde der Behörden folgte, die Verzögerung, die in diesem Fall rund neun Jahre zur Erfüllung der Peace now-Petition brauchte. Der Peace-Now-Generalsekretär Yariv Oppenheimer sagt jetzt, er gebe bei der Zerstörung der Häuser von Klein und Peretz nach. Man kann ihn verstehen. Es ist nicht einfach, ein Haus von Bewohnern zu zerstören, die gerade ihre Trauerwoche hinter sich haben.

Tatsächlich ist das unmenschlich. Aber wie gewöhnlich befassen wir uns mit Randerscheinungen, statt mit dem Wichtigen. Während die Evakuierung der Außenposten nie einen verbindlichen Termin haben, während der Sasson-Bericht ein wertloser archäologischer Artefact geworden ist, warum befassen wir uns dann ausgerechnet mit Givat Hayovel? Gibt es nicht genug andere Außenposten, die evakuiert werden müssen und die keine trauernden Familien haben? Außerdem, die ganze Sache mit den „illegalen“ Außenposten – als ob eine Siedlung legal wäre – ist nie der Kern des Problems gewesen. Es ist für jeden so praktisch, die Givat Hayovel-Affäre in noch ein selbstgerechtes und irreführendes Feigenblatt zu wandeln.

Die Siedler fuchteln mit ihren Häusern für eigene Zwecke herum, um noch mehr öffentliche Sympathie heraus zu quetschen und die Opposition gegenüber jeder Evakuierung zu verstärken. Barak und Ashkenazi fuchteln mit diesen Häusern herum, um zu zeigen, wie sehr sie dem Gesetz in den (besetzten ) Gebieten Geltung verschaffen wollen, aber nicht können. Sogar das Rechtssystem versucht gelegentlich zu beweisen, dass es sorgfältig das Gesetz aufrecht erhält und keinen Unterschied macht, wenn es die Siedler betrifft. All dies ist nur lächerlich.

Diese beiden Häuser sollten in Ruhe gelassen werden – ja selbst der ganze Außenposten. So lange wie die Hauptsiedlung Eli, bleibt, welchen Unterschied macht das denn gegenüber dem Außenposten?

http://zmag.de/artikel/die-idf-nimmt-trauer-als-feigenblatt-fuer-siedler

Neuer IDF-Erlass soll Massendeportation von der Westbank ermöglichen

von Amira Hass

11.04.2010 — Ha’aretz

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Ein neuer Militärerlass, die Infiltration verhindert, wird diese Woche in Kraft treten. Er macht es möglich, dass Zehntausende von Palästinensern der Westbank deportiert werden oder dass sie angeklagt werden und mit sieben Jahren Gefängnis bestraft werden können.

Wenn der Erlass ausgeführt wird, werden Zehntausende von Palästinensern automatisch kriminelle Täter, die streng bestraft werden.

Wenn man an die Aktionen der Sicherheitsbehörden der letzten zehn Jahre denkt, werden als erstes wahrscheinlich die Palästinenser von dem neuen Erlass getroffen, deren ID-Karte als Wohnort den Gazastreifen angibt – Leute, die im Gazastreifen geboren wurden mit ihren auf der Westbank geborenen Kindern – oder jene, die auf der Westbank oder im Ausland geboren wurden und aus verschiedenen Gründen ihren Wohnstatus verloren haben.

Bis jetzt haben israelische Zivilgerichte hin und wieder die Vertreibung dieser drei Gruppen aus der Westbank verhindert. Der neue Erlass jedoch setzt sie unter die alleinige Jurisdiktion der israelischen Militärgerichte.

Der neue Erlass definiert jeden , der die Westbank illegal betritt als einen Eindringling/ Infiltrant. Aber auch „eine Person, die sich in dem Gebiet aufhält und keine legale Genehmigung hat“. Der Erlass führt die ursprüngliche Definition von 1969 für einen Infiltranten ins Extrem, da der Terminus ursprünglich nur für jene angewandt wurde, die sich illegal in Israel aufgehalten haben, nachdem sie Länder passierten, die als feindselig eingestuft wurden wie z.B. Jordanien, Ägypten, Libanon und Syrien.

Die Sprache des Erlasses ist allgemein und doppeldeutig, indem sie stipuliert, dass der Terminus Infiltrant auch auf palästinensische Bewohner Jerusalems und auf Bürger von Ländern, mit denen Israel freundliche Beziehungen hat (wie die USA), angewendet werden kann und auch auf israelische Bürger – ob arabisch oder jüdisch. All dies hängt vom Urteil der IDF-Kommandeure vor Ort ab.

Das Hamoked-„Zentrum für die Verteidigung des Individuums“ war die erste israelische Menschenrechtsgruppe, die vor diesem Erlass, der vor 6 Monaten vom damaligen Kommandeur der IDF-Kräfte in Judäa und Samaria-Gebiet Gadi Shamni unterzeichnet wurde, gewarnt hat.

Vor zwei Wochen sandte die Hamoked-Direktorin Dalia Kerstein dem GOC-Zentralkommandeur Avi Mizrahi ein Ersuchen, den Erlass hinauszuschieben, da er für eine große Anzahl von Menschen eine dramatische Veränderung in bezug auf Menschenrechte bedeutet.

Nach den Bestimmungen „ist eine Person vermutlich dann ein „Eindringling“, wenn sie sich in einem Gebiet ohne Dokument oder Aufenthaltserlaubnis und ohne vernünftige Rechtfertigung aufhält.“ Solch eine Dokumentation muss vom Kommandeur der IDF-Kräfte in Judäa und Samaria oder seiner Vertretung bestätigt werden.

Die Instruktionen jedoch sind unklar, ob diese Genehmigungen denen entsprechen, die im Augenblick gültig sind oder betrifft diese neue Genehmigungen, die Militärkommandeure in Zukunft ausgeben. Die Bestimmungen sind auch unklar, was Bewohner mit Westbank-Wohnrechtausweisen betrifft; sie berücksichtigen auch die Existenz der palästinensischen Behörde und die Abkommen nicht, die Israel mit ihr und der PLO unterzeichnet hat.

Der Erlass verlangt, dass wenn der Kommandeur entdeckt, dass ein „Eindringling“ vor kurzem ein bestimmtes Gebiet betreten hat, dann kann er seine Deportation innerhalb von 72 Stunden mit einer schriftlichen Deportationsorder befehlen, vorausgesetzt der Eindringling wird in das Land oder Gebiet deportiert, aus dem er gekommen ist.

Der Erlass erlaubt auch Strafprozesse gegen verdächtige Eindringlinge; das könnten Strafen bis zu sieben Jahre Gefängnis bedeuten. Personen, die nachweisen können, dass sie die Westbank legal betreten haben – aber ohne Aufenthaltserlaubnis dort bleiben, werden auch verurteilt mit einer Höchststrafe von drei Jahren. (Nach dem augenblicklichen israelischen Gesetz bekommen illegale Bewohner ein Jahr Gefängnisstrafe.)

Die neue Bestimmung erlaubt auch dem IDF-Kommandeur des Gebietes, vom „Infiltranten“ die Kosten für seine eigene Haft und die Vertreibung zu bezahlen, das wäre dann im Ganzen 7500.-NIS.

Die Angst, dass Palästinenser mit Gaza-Adressen die ersten sein werden, die von dem Erlass betroffen sind, gründet sich auf Maßnahmen, die Israel schon in den letzten Jahren praktiziert hat, um ihr „Recht zu leben, zu arbeiten, zu studieren oder sogar die Westbank zu besuchen“ zu kürzen. Diese Maßnahmen verletzen die Oslo-Abkommen.

Gemäß einer Entscheidung des Westbank-Kommandeurs, die nicht durch militärische Rechtssprechung gedeckt war, mussten seit 2007 Palästinenser mit Gaza-Adressen, eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen. Seit 2000 wurden sie als illegale Besucher definiert, als ob sie Bürger eines anderen Staates wären. Viele von ihnen sind nach Gaza deportiert worden, auch die, die in der Westbank geboren wurden.

Im Augenblick benötigen Palästinenser auch Sondergenehmigungen, um Orte nahe des Trennungszaunes zu betreten, selbst dann, wenn ihr Haus dort liegt. Und vom Jordantal wurden Palästinenser seit langem ausgeschlossen, wenn sie keine Sondergenehmigung hatten. Bis 2009 benötigten die Bewohner von Ost-Jerusalem eine Genehmigung, um die Zone A, die unter voller PA-Kontrolle steht, zu betreten.

Eine andere Gruppe wird besonders von den neuen Regeln betroffen sein: Palästinenser, die zur Familienzusammenführung in die Westbank zogen, was Israel seit mehreren Jahren nicht gewährt hat.

2007 inmitten einer Anzahl von Hamoked-Petitionen und als Geste des guten Willens gegenüber dem palästinensischen Präsident Mahmoud Abbas erhielten Zehntausende den palästinensischen Ausweis mit Wohnrecht. Die PA verteilte zwar die Ausweise, aber Israel hat exklusive Kontrolle darüber, wer diese Ausweise erhält. Tausende Palästinenser jedoch bleiben „illegale Besucher“, einschließlich vieler, die nicht Bürger eines anderen Landes sind.

Die neue Order ist der letzte Schritt der israelischen Regierung der letzten Jahre, um Aufenthaltgenehmigungen zu beantragen, die die Bewegungsfreiheit und das Wohnrecht einschränken, das erst kürzlich durch palästinensische Ausweise verliehen wurde. Die neuen Regeln sind besonders radikal, da sie Strafmaßnahmen und die Massenvertreibung von Menschen aus ihren Wohnungen erlauben.

Der IDF-Sprecher antwortete (gegenüber Haaretz):

„die Änderungen des Erlasses, die vom GOC-Zentralkommandeur unterzeichnet wurden, soll Infiltration verhindern. Sie gehören zu einer Reihe von Manifesten, Regelungen und Verabredungen in Judäa und Samaria. Sie sind auf Hebräisch und Arabisch und werden in den Büros der zivilen Verwaltung und bei den Verteidigungsanwälten der Militärgerichte ausgehängt. Die IDF ist bereit, den Erlass zu erfüllen, der gegenüber Israelis nicht angewendet wird, aber bei illegalen Besuchern in Judäa und Samaria.“

http://zmag.de/artikel/neuer-idf-erlass-soll-massendeportation-von-der-westbank-ermoeglichen

Israel bittet Jordanien offiziell um neuen Übergang

Amman- Israel hat nun offiziell Jordanien gefragt, ob es einen neuen Übergang zwischen ihnen (mit Israel) öffnen könnte, der  die Bewegung von jordanischen Bauern in israelische Bauernhöfe entlang der Grenzen möglich macht, wie eine jordanische Zeitung am Sonntag berichtete.

Al-Arab Al-Youm zitierte einige hochrangige Quellen, welche aussagten, dass heute ein offizieller israelischen Vorschlag  vom Außenministerium  an den jordanischen Ansprechpartner  ging und dass der Vorschlag momentan beim Premierminister Samir Al-Refai befindet.

Der Vorschlag beinhaltet einen hebräischen Pressebericht, dass eine israelischer Entcheidung vom Militär schon vor Monaten getroffen wurde, welche aussagt, dass die Armee tausende Palästinenser, die „illegal“ in der Westbank leben, vertrieben werden sollen und dieser soll ab dieser Woche wohlmöglich ausgeführt werden.

Die israelische Zeitung Haaretz sagte, dass die erste Phase die Palästinenser treffen würde, die im Gazastreifen geboren sind oder Kinder haben, die dort geboren sind sowie auch Ausländern, die mit Palästinensern verheiratet sind oder auch Palästinenser, die ihr Anrecht in der Westbank zu leben aus verschiedenen Gründen verloren haben.

http://www.palestine-info.co.uk/En/default.aspx?xyz=U6Qq7k%2bcOd87MDI46m9rUxJEpMO%2bi1s7DL7GoYdqSWbXsJSyxWln0hnSJ0Ek4jax1ce98Qpf503afwH%2bsmq9Ba7tRowF1GW6stYrB5pdK3SAAzLzCwjShao%2bCS5OWhks2KkWAUj2JYo%3d

Reporter in Gaza: Über die Gefahren und Schwierigkeiten der Berichterstattung aus Gaza

Zwei Reporter berichten

von Amy Goodman

08.04.2010 — Democracy Now!

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Das Interview führten Amy Goodman und Juan Gonzalez

Wir sprechen nun mit zwei Journalisten, die ausführlich aus Gaza berichteten. Wir werden über die Gefahren und Schwierigkeiten reden, die eine Berichterstattung aus den Besetzten Gebieten mit sich bringt. Mohammed Omer, ein preisgekrönter palästinensischer Journalist, wurde von israelischen Sicherheitskräften verhört und geschlagen, als er nach Gaza zurückkehren wollte, nachdem er in London den renommierten Martha-Gellhorn-Preis für Journalismus entgegengen genommen hatte. Das war 2008.

Ayman Mohyeldin ist der (einzige) Gaza-Korrespondent für ‚Al Jazeera English‘. Er war einer der ganz, ganz wenigen internationalen Journalisten, die während des 22-tägigen israelischen Angriffs auf Gaza, 2009, aus dem Gazastreifen berichteten

Unsere Gäste sind:

Mohammed Omer: preisgekrönter palästinensischer Journalist aus Rafah, im südlichen Gazastreifen

Ayman Mohyeldin: Gaza-Korrespondent der englischsprachigen Abteilung des Senders Al- Dschasierah

Juan Gonzalez:

Wir beenden das Programm heute mit einem Gespräch über die Gefahren und Schwierigkeiten, denen sich Journalisten im besetzten Gazastreifen ausgesetzt sehen. In Gaza leben 1,4 Millionen Palästinenser. Praktisch jeden Tag drohen ihnen israelische Angriffe. Bislang haben sie eine vierjährige strikte Blockade überstanden. Diese Blockade umfasst nahezu alle Export- und Importgüter. Sämtliche Übergänge nach Gaza sind abgeriegelt. Lediglich eine kleine Menge Lebensmittel und medizinischer Hilfe darf passieren.

In dieser Woche ließen die israelischen Behörden zum ersten Mal seit 2007 eine Ladung mit Kleidung und Schuhen passieren. Palästinensische Geschäftsleute behaupten jedoch, die meisten der Waren seien – nach drei Jahren Lagerzeit – kaputt und nicht mehr zu gebrauchen.

Während die Palästinenser immer noch versuchen, die Verantwortlichen für die Zerstörung und die Toten durch die 22-tägigen israelischen Angriffe im Winter 2009 zur Rechenschaft zu ziehen, hören die israelischen Luftangriffe nicht auf, sondern gehen bis heute weiter.

Am vergangenen Wochenende wurden drei palästinensische Kinder bei diesen Luftschlägen verletzt. Eine Milchfabrik wurde zerstört.

Amy Goodman:

Wir sind nun mit zwei Journalisten verbunden, die sehr ausgiebig aus Gaza berichtet haben. Mohammed Omer ist ein preisgekrönter Journalist aus Rafah, im Süden des Gazastreifens. Nachdem er 2008 in London den Martha-Gellhorn-Preis für Journalismus bekam, wurde er bei seiner Rückkehr von bewaffneten israelischen Sicherheitsleuten verhört und verprügelt. Seither lebt er in den Niederlanden und befindet sich noch immer in medizinischer Behandlung. Zur Zeit ist Omer auf einer Vortragsreise in den USA. Er ist uns jetzt aus Houston/Texas zugeschaltet. Hier, in New York, ist Ayman Mohyeldin bei uns. Er war einer der ganz wenigen internationalen Journalisten, die während  der ‚Operation Gegossenes Blei‘ im vergangenen Jahr aus Gaza berichteten.

Willkommen bei Democracy Now! Mohammed Omer – gehen wir zuerst zu Ihnen, nach Houston. Ich freue mich, dass es Ihnen gelungen ist, nach Amerika einzureisen. Ich weiß, Sie hatten zunächst einige Schwierigkeiten. Beschreiben Sie uns, was Ihnen damals widerfuhr, nachdem Sie den Martha-Gellhorn-Preis bekommen hatten.

Mohammed Omer: Nun, ich kam aus London zurück, wo ich den Martha-Gellhorn-Preis für Journalismus erhalten hatte. Die israelischen Sicherheitsleute packten mich und zwangen mich mit vorgehaltenem Gewehr, mich auszuziehen. Die Männer, die mich angriffen, suchten nach Preisgeld – aus dem Martha-Gellhorn-Preis. Außerdem wollten sie mich demütigen, indem sie mir  verschiedene Arten von Fragen stellten.

Zuvor hatten sie mich buchstäblich verprügelt – Brust, Nacken, Rippen. Sie brachten mich auch in einen kleinen geschlossenen Raum. Einer der Offiziellen – sie nannten ihn Avi, er war ein großer, Glatzkopf -, versuchte, meine Knochen festzuhalten, er packte meine Knochen…. er fuhr mir mit den Fingernägeln unter die Augen, versuchte, mich zu stechen. Er trat mich auch in verschiedene Körperteile. Das war, weil ich das Geld, das ich durch den Martha-Gellhorn-Preis bekommen hatte, nicht vorweisen konnte. Dies geschah am 26. Juni 2008.

Nachdem sie mich mehrere Stunden attackiert, getreten und verprügelt hatten, wurde ich ohnmächtig. Dann brachte man mich in das Krankenhaus von Jericho und von dort in den Gazastreifen. Wir brauchten fast drei Monate, bis es möglich wurde, dass ich in die Niederlande ausreisen konnte, um mich medizinisch behandeln zu lassen.

Sie sind bis heute dort. Sie haben…

Nun, ich bin immer noch…

… fahren Sie fort…

Ich bin immer noch in medizinischer Behandlung – in den Niederlanden. In den letzten Monaten wurde ich in drei verschiedenen holländischen Kliniken untersucht. Es stellte sich die Frage, ob eventuell mehrere Rippen entfernt werden müssten. Ich bin froh, dass ich das wohl nicht machen lassen muss. Dennoch habe ich – unterhalb der Rippen – eine Schädigung. Ich kann Ihnen hier, auf der Stelle, berichten, dass die holländischen Ärzte von ausgeklügelter Folter sprachen: Die Folterer schafften es, ein Minimum an (äußerlich) sichtbaren Folterspuren zu hinterlassen, aber maximale innere Verletzungen zu erzeugen, die mich womöglich für den Rest meines Lebens begleiten werden.

Mohammed Omer. Sie haben (als Journalist) viele Fotos gemacht, darunter auch sehr drastische: Fotos von Rachel Corrie, die uns bislang unbekannt waren (und ich warne unsere Zuschauer vor dem Anblick). Rachel Corrie war eine junge Frau aus Olympia in Washington, die am 16. März 2003 von einem israelischen Militärbulldozer im Gazastreifen getötet wurde. Waren Sie an jenem Tag vor Ort?

Ich war dort. Ich erinnere mich sehr gut an den Tag. Als ich verschiedene Nachrichtenagenturen anrief und die Nachricht weitergab, dass eine Bürgerin der USA namens Rachel Corrie getötet wurde, brauchte ich 9 oder 10 Stunden, bis die Nachrichtenagenturen mir glaubten, dass tatsächlich eine Amerikanerin getötet worden war. Eine Agentur in Ramallah sagte – ich erinnere mich noch genau: „Kommen Sie schon, es kann nicht sein, dass Israel so blöd ist, eine Bürgerin der USA anzugreifen. Das ist unmöglich.“ Ich war vor Ort und habe Fotos gemacht. Ich war sehr nahe am Ort des Geschehens, als sie getötet wurde und ging auch sofort ins Abu-Yousef-al-Najjar-Krankenhaus, wohin ihre Leiche umgehend gebracht wurde.

Das Erstaunliche an jenem Tag war das Verhalten der Kinder von Gaza. Sie gingen auf die Straße und deckten Rachel Corrie mit einer amerikanischen Flagge zu – in Gaza. Sie demonstrierten auf den Straßen, damit die Welt ihren Tod untersuchen und die Kriegsverbrecher vor Gericht stellen sollte, denn die Kinder von Gaza sahen in Rachel Corrie eine Freundin. Sie gingen auf die Straße und forderten eine sofortige Untersuchung und einen Prozess gegen die Täter, die Rachel Corrie getötet hatten.

Juan Gonzalez: Ich möchte nun gerne Ayman Mohyeldin eine Frage stellen. Sie sind Journalist in Gaza, aber kein Palästinenser. Können Sie uns etwas über die Schwierigkeiten sagen, die es mit sich bringt, dem Rest der Welt Nachrichten aus Gaza zu übermitteln?

Ayman Mohyeldin: Absolut. Wie Mohammed schon gesagt hat und wie Sie vorhin schon erwähnten, gibt es nur zwei Möglichkeiten, nach Gaza zu kommen: über Ägypten oder über Israel. Die ägyptische Grenze ist – inoffiziell – geschlossen. Journalisten wird es verwehrt, aus Ägypten nach Gaza einzureisen. Folglich muss jeder Journalist, der hinein will, die Zustimmung des israelischen Militärs einholen.

Das ist ein sehr komplizierter Prozess. Es (das israelische Militär) führt Ermittlungen zu deinem Hintergrund durch sowie Sicherheitschecks. Schließlich erhältst du eine Pressekarte. Außerdem musst du unterschreiben, dass du mit den Zensurbestimmungen der israelischen Regierung einverstanden bist. Erst wenn du das hinter dir hast, bekommst du einen Presseausweis, der es dir möglich macht, in den Gazastreifen einzureisen. So kommt man nach Gaza.

Wenn du erst einmal in Gaza bist, musst du dich wirklich mit denselben logistischen Problemen herumschlagen, wie die normalen Leute dort. Du leidest ebenso darunter. Es fällt dir schwer, an die nötige Energieversorgung für deine Ausrüstung zu kommen. Hinzu kommt, dass der Strom sehr oft ausfällt. Es ist also sehr schwierig, unter diesen Bedingungen zu arbeiten, systematisch zu arbeiten. Hinzu kommt natürlich die tägliche Bedrohung durch israelische Luftangriffe – möglicherweise auch Einmärsche. Wissen Sie, das Leben aller Menschen ist dadurch in Gefahr.

Amy Goodman: Al-Dschasierah hatte während des israelischen Angriffes (2009) auf Gaza eine sehr große Verantwortung: Ihr wart die einzige internationale Agentur in Gaza. Das israelische Militär ließ keine internationalen Journalisten nach Gaza.

Ayman Mohyeldin: Absolut. In diesem speziellen Fall…. Seit es Al-Dschasierah International gibt, fühlen wir uns verpflichtet, über die Geschehnisse in Gaza zu berichten und über die belagerten Menschen dort. Wir glauben, dass es sich um eine wichtige Story – wenn nicht um eine der wichtigsten Storys in der Region und in der Welt überhaupt – handelt, mit größeren Auswirkungen auf die Region. Also entschied man sich (bei Al-Dschasierah) für eine permanente Präsenz, für einen Vollzeit-Korrespondenten in Gaza. Aus diesem Grund war ich schon vor den Ereignissen vor Ort. Seit Mai 2008 bin ich der einzige ständige Auslandskorrespondent in Gaza. So war ich also schon dort, bevor der Krieg losging.

Am 27. Dezember 2009, als die Israelis ihre Militärkampagne starteten, entschlossen sich sämtliche ausländischen Medien, die westlichen Medien, nach Gaza zu kommen. Doch offensichtlich ließ das israelische Militär sie nicht hinein. Schließlich ging hier ein Krieg vor sich. Es ist leicht, sich zurückzulehnen und zu sagen, Israel hat uns nicht hineingelassen. Aber auch die westlichen Journalisten, die die Gaza-Story vernachlässigt haben, die Story über die Belagerung Gazas – bevor es plötzlich zu einer lohnenden, Bildschirm füllenden Titelstory wurde -, trifft eine Menge Schuld.

Juan Gonzalez: Schränken die Hamas-Behörden in Gaza Sie bei Ihrer Berichterstattung ein?

Ayman Mohyeldin: Aus meiner persönlichen Erfahrung kann ich sagen, dass keiner von der Hamas mir je gesagt hat, ich könne eine Story nicht bringen, ich solle eine Story nicht bringen. Zweifellos haben – sagen wir mal arabische – Journalisten Schwierigkeiten, denn ihr Publikum ist ja vor allem arabisch. Daher wird auf sie mehr Druck ausgeübt. Menschenrechtsorganisationen haben einige Fälle dokumentiert. Ich persönlich habe nichts Derartiges erlebt. Aber es gibt wachsende Kritik, die Hamas wende diese Taktik an, um die Meinungsfreiheit unter den Journalisten im Gazastreifen einzuschränken.

Amy Goodman: Mohammed Omer, bevor wir zum Schluss kommen (wir setzen das Gespräch im Anschluss an diese Sendung fort und stellen Teil II online): Wir möchten gerne ihre abschließenden Gedanken erfahren, da Sie die USA ja zum ersten Mal betreten, seit sie damals, vor einigen Jahren, zusammengeschlagen wurden.

Mohammed Omer: Nun, das hier ist meine erste Vortragsreise durch die Vereinigten Staaten. In ein paar Stunden werde ich nach New Mexico fliegen, wo ich einige Vorträge halten werde. Die Erfahrungen eines palästinensischen Journalisten im Gazastreifen sind ganz anders und sehr kompliziert. So brauchte ich sechs Monate, um meinen palästinensischen Ausweis erneuern zu lassen. Ich ging zu der Hamas-Regierung in Gaza und sagte: „Ich will meinen Pass erneuern lassen“, und sie sagten mir, sie hätten keine Tinte für Pässe im Gazastreifen. Es gibt Zeiten, da haben sie kein Papier für neue Pässe. Ich sprach mit der Regierung in Ramallah. Das war sehr schwierig. Mir scheint, dass es für palästinensische Journalisten zweifellos sehr schwierig ist, über die Situation im Gazastreifen zu berichten und über all die Schwierigkeiten zu sprechen und darüber zu berichten. Es ist sehr kompliziert, weil jede Seite dich auf ihre Seite ziehen will – das macht es so schwierig. Aber ich hatte nie Schwierigkeiten mit der Hamas-Regierung.

Amy Goodman: Mohammed Omer, wir müssen hier Schluss machen (…) Mohammed Omer und Ayman Mohyeldin, vielen Dank, dass Sie bei uns waren.

Übersetzt von: Andrea Noll

Routine: Misshandlung von Jugendlichen durch israelische Armee

 46163126 arrest466 Routine: Misshandlung von Jugendlichen durch  israelische ArmeePalästinensische Jugendliche werden in Gewahrsam routinemäßig von israelischen Soldaten misshandelt, gibt ein ehemaliger israelischer Militärkommandeur gegenüber Katya Adler, BBC Berichterstatterin für Jerusalem und das Westjordanland zu.

“Man schnappt sich den Jungen, verbindet ihm die Augen, fesselt seine Hände. Dabei zittert er heftig … manchmal fesselt man auch seine Füße. Dies kann ihm die Blutzirkulation abschnüren. Er bekommt nichts davon mit, was um ihn herum vorgeht, und hat keine Ahnung, was mit ihm geschehen wird. Er weiss nur, dass wir Soldaten mit Gewehren sind. Dass wir Menschen töten. Vielleicht fürchtet er, dass wir auch ihn töten. Oftmals bepinkeln sie sich, sitzen einfach da und pinkeln sich in die Hosen, weinen. Aber normalerweise sind sie sehr ruhig.”

Eran Efrati war früher Kommandeur in der israelischen Armee. Er diente im besetzten Westjordanland.

 46163128 soldier226 Routine: Misshandlung von Jugendlichen durch  israelische ArmeeIn einem Park in Jerusalem treffen wir ihn, um über Anschuldigungen gegen israelische Soldaten wie ihn zu diskutieren, sie würden häufig palästinensische Minderjährige, die des Steinewerfens beschuldigt werden, misshandeln. Mr. Efrati – der vor fünf Monaten die Armee verlassen hat – sagt, die Anschuldigungen seien berechtigt:

“Nie habe ich jemanden verhaftet, der jünger war als zehn Jahre, aber 14, 13, 11, für mich sind das noch Kinder. Doch sie werden wie Erwachsene behandelt. Jeder Soldat, der in den besetzten Gebieten gedient hat, kann ähnliche Geschichten erzählen. Die ersten Monaten nachdem ich die Armee verlassen hatte träumte ich die ganze Zeit von Kindern. Jüdischen Kindern. Arabischen Kindern. Sie schrien… Womöglich werden dem Jungen die Augen verbunden, damit er unsere Militärbasis nicht sehen kann und wie wir arbeiten… aber ich glaube wir machen das, weil wir seine Augen nicht sehen wollen. Man will nicht dass er uns ansieht, uns anfleht aufzuhören, vor uns weint. Es ist sehr viel einfacher, wenn wir seine Augen nicht sehen können.

“Wenn ein Junge dort in unserer Militärbasis sitzt – ich habe es nicht getan – aber niemand sieht in ihm ein Kind – wenn dort jemand mit verbundenen Augen und Handschellen sitzt, dann hat er wahrscheinlich etwas wirklich Schlimmes getan. Es ist in Ordnung ihn zu schlagen, ihn zu bespucken oder zu treten. Es ist wirklich egal.”

Junge Palästinenser werden meist festgenommen, weil sie Steine auf Siedler oder israelische Soldaten werfen. Dies ist, so sagen sie, die einzige Möglichkeit ihrer Frustration gegen die militärische Besatzung ihrer Heimat durch Israel Luft zu machen.

In Bil’in, einem Dorf im Westjordanland, organisieren Palästinenser wöchentlich Demonstrationen gegen Israel’s Separationsmauer. Israel sagt die Mauer sei notwendig, um Angriffe gegen seine Bürger zu unterbinden. Palästinenser nennen es Landraub. Sie sagen die Mauer mache ihnen das Leben noch schwerer. Israelische Soldaten beobachten die Proteste von der anderen Seite der Mauer aus.

Nächtliche Verhaftungen

 46163127 bilinkids 3101 466afp Routine: Misshandlung von  Jugendlichen durch israelische ArmeeNeulich auf einer dieser Demonstrationen beobachtete ich eine Gruppe palästinensischer Jungen, wie sie zwischen den Olivenbäumen umherliefen, Steine sammelten und diese gegen Soldaten warfen. Manche benutzten Steinschleudern. Viele verbargen ihre Identität hinter Tüchern oder Schals, die sie um ihre Gesichter gewickelt hatten. Die Soldaten antworteten mit Tränengas und Schallgranaten. Manchmal schossen sie auch gummiummantelte Stahlgeschosse.

Nach solchen Vorkommnissen greifen israelische Soldaten häufig das Dorf an. In der Regel mitten in der Nacht. Die Verhaftungen können brutal sein.

“Ihre Gesichter waren bemalt als sie ihn holen kamen. Es war erschreckend. All diese Soldaten für einen Jungen. Im Jeep haben sie ihm Gewichte aus Eisen auf den Rücken gelegt und ihn den ganzen Weg zum Gefängnis geschlagen. Er konnte eine Woche lang nicht aufstehen.”

 46163131 boy226 Routine: Misshandlung von Jugendlichen durch  israelische ArmeeMohammad Ballasi’s 15-jähriger Sohn Mohammad wurde wegen Steinewerfens von israelischen Soldaten verhaftet. Wir trafen ihn und seine Frau vor einer israelischen Militärbasis im Westjordanland. Palästinensische Jugendliche werden vor Militärgerichte gestellt. Als Minderjährige werden dort Palästinenser unter 16 Jahren angesehen. In israelischen Zivilgerichten gelten unter 18-Jährige als minderjährig.

Mohammad’s Eltern sahen ihn zum ersten Mal nach seiner Verhaftung zu seinem Gerichtsverfahren vor zwei Wochen. Er bekannte sich dort schuldig.

“Wenn man so geschlagen wird, sagt man selbst gegen die eigene Mutter aus,” sagt Suad Ballasi und unterdrückt seine Tränen. “Er ist ein Kind. Seine Freunde spielen auf der Straße während er in Handschellen sitzt. Ich konnte vor Gericht nicht aufhören zu weinen. Es fühlt sich an als würde mein Herz explodieren.”

Die Menschenrechtsorganisation “Defence for Children International” (DCI) hat in einem Bericht das israelische Militär der systematischen und institutionalisierten Misshandlung und Folter palästinensischer Kinder beschuldigt.

Gerard Horton ist ein Anwalt bei der DCI. Er sagt, Mohammad Ballasi’s Geschichte sei keine Ausnahme.

“Wir hören immer wieder von solchen Vorfällen. Israel hat die UN Konvention gegen Folter unterzeichnet – und auch die UN-Kinderrechtskonvention. Auch nach dem internationalen Gewohnheitsrecht ist es verboten, -insesondere Kinder- zu misshandeln und zu foltern.”

Er erzählte mir, Israel habe letzes Jahr 9.000 Palästinenser verhaftet – davon waren 700 Kinder. Mr. Horton sagt, die Militärgerichte stünden unter Druck, Fälle schnell zu bearbeiten.

Die Organisation DCI glaubt es wäre im Interesse von gleichsam Erwachsenen wie Kindern, auf schuldig zu plädieren. Gerard Horton sagt, Palästinenser die sich gegen die gegen sie vorgebrachten Anklagen verteidigen, würden im Endeffekt höhere Strafen erhalten.

Mohammad Khawaja war gerade 13 geworden, als er verhaftet wurde. “Sie haben mich am Kragen gepackt und aus dem Haus gezerrt. Je mehr ich weinte, desto mehr haben sie mir zugesetzt,” erzählt der Junge. “Meine Mutter schrie. Sie zogen mich über den Boden. Meine Knie bluteten. Sie schlugen mich mit ihren Gewehren und traten nach mir den ganzen Weg bis zum Jeep. Sie fesselten meine Hände und Füße, verbanden mir die Augen und ließen mich 24 Stunden dort ausharren. Ich dachte ich würde sterben. Später verlangten Vernehmungsbeamte von mir, dass ich andere Leute anschwärze. Ich wollte es nicht. Sie schlugen mich mit Plastikstühlen. Ich musste ein Dokument unterschreiben, das auf hebräisch verfasst war. Weder lese noch spreche ich hebräisch. Weil ich es unterzeichnet hatte sperrten sie mich ein.”

Das israelische Militär weist jegliche Anschuldigungen zurück, die Mißhandlung palästinensischer Jugendlicher sei Routine, doch man müsse ja auf der Hut sein vor palästinensischen Kindern, die in “Akte des Terrors” involviert seien.

Alpträume

Oberstleutnant Avital Leibowitz ist Sprecherin der israelischen Armee. “Auch wenn es nur ein Stein oder ein Molotov-Cocktail ist – es sind tödliche Waffen. Es spielt keine Rolle wer es getan hat – es sind tödliche Waffen,” sagt sie. “Wir erwischen fast jede Woche einen 14- oder 15-Jährigen mit einem Sprengstoffgürtel oder einer Granate an einem der Checkpoints. Wir leben in dieser Situation, und da wir uns verteidigen und diese Terroristen bestrafen müssen haben wir keine Wahl als sie zu finden und zu bestrafen – und zu hoffen dass es sich nicht wiederholt.”

Mohammad Khawaja hat nicht mehr richtig geschlafen seit die Soldaten gekommen sind. Er meint, die Alpträume wollten einfach nicht verschwinden.

Menschenrechtsgruppen appelieren an die internationale Gemeinschaft, die Vergehen Israels’  gegen Kinderrechte zu untersuchen.

Quelle: BBC

http://www.ism-germany.net/2009/08/10/routine-misshandlung-von-jugendlichen-durch-israelische-armee#more-1255

Settlers destroy natural spring used by Palestinians for farming near Salfit

»Nicht eine der Resolutionen wurde umgesetzt«

Heute wird in Palästina der »Tag des Bodens« begangen – als Erinnerung an ein Massaker im Jahr 1976. Ein Gespräch mit Jamal Jumaa

Interview: Sophia Deeg
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Jamal Jumaa ist Koordinator der palästinensischen Graswurzel-Kampagne gegen die Apartheidsmauer in Palästina

Am heutigen Dienstag erinnern sich Palästinenser überall auf der Welt an den 30. März 1976, als bei Protesten in Israel sechs von ihnen, israelische Staatsbürger, getötet und über 100 verletzt wurden. Sie hatten sich gegen die fortgesetzte Landnahme durch die israelische Regierung gewandt. Wie wird heute der »Tag des Bodens« begangen?

In diesem Jahr finden besonders viele Demonstrationen und Veranstaltungen statt. Wir sind sehr frustriert über die israelische Politik der Mißachtung von Vereinbarungen. Gerade am »Land Day« wissen sich alle Palästinenser verbunden. Immer ging es um Landnahme und Vertreibung sowie den Kampf dagegen.Vor über 30 Jahren rief die UN-Generalversammlung zu Sanktionen gegen das südafrikanische Apartheidsregime auf und verurteilte jede Kooperation mit diesem »rassistischen Regime«. Könnten sich die UN auch gegenüber Israel zu dieser Haltung durchringen?

Seit 1967/68 wurde in über 100 UN-Resolutionen versucht, in Bezug auf Palästina internationales Recht durchzusetzen. Nicht eine wurde umgesetzt. Ist das nicht eine alle Menschen berührende Mißachtung der UN und des Völkerrechts?

In Oslo wurde den Palästinensern für 1999 ein unabhängiger Staat zugesichert. Doch 2010 leben wir immer noch wie ins Südafrika in Bantustans ohne Bewegungsfreiheit. Ungezählte Verhandlungsinitiativen blieben ohne Ergebnis, weil sich Israel grundsätzlich nicht an Vereinbarungen hält. Zu ernsthaften Verhandlungen wird Israel wohl nur bereit sein, wenn es empfindliche Sanktionen hinnehmen muß. Im Fall Südafrika ging das ja auch.Sie meinen, daß sich eine Kampagne entwickeln könnte, wie sie gegen das Apartheidsregime in Südafrika möglich war?

Es gibt Parallelen. Auch in Bezug auf Südafrika machte die Zivilgesellschaft den Anfang, und schließlich folgten die Regierungen. Seit wir vor fünf Jahren unsere Kampagne begonnen haben, gab es eine große Zahl erfolgreicher Initiativen gegen Firmen überall auf der Welt, die irgendwie von der Besatzung profitieren. Die zionistische Lobby und die israelische Regierung reagieren inzwischen alarmiert. Sie sprechen von uns als »Delegitimierern« Israels. In der Tat delegitimieren wir Rassismus, Siedlungsbau auf besetztem Land, die völkerrechtswidrige Belagerung Gazas.Wie schaffen es die Dorfbewohner angesichts der massiven Repressionen, den Widerstand entlang der Mauer aufrecht zu erhalten?

Unser Widerstand dauert jetzt 60 Jahre – Israel wird ihn nicht brechen können. Das hat sich auch gezeigt, als im vergangenen Juni eine Repressionswelle begann, die heute noch anhält. Seit einigen Monaten kommt es fast täglich zu Überfällen auf die Dörfer, zu Tötungen und Verletzungen unbewaffneter Demonstranten, zu Verhaftungen und Verschleppungen, zur Verwüstung von Wohnungen.Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die internationale Solidarität mit den Palästinensern?

Eine große! Ohne die Unterstützung aus aller Welt säße ich übrigens jetzt nicht hier. Wie es tausendfach geschieht, wurde auch ich im Dezember 2009 verhaftet, ohne daß etwas gegen mich vorlag. Man verwies auf eine »geheime Akte« über mich. Auf dieser Grundlage wird man normalerweise zu sechs Monaten »Administrativhaft« verurteilt, die immer wieder verlängert werden kann. Das ist mir erspart geblieben – u. a. dank Tausender E-Mails aus aller Welt an das israelische Außenministerium und dank der diplomatischen Proteste der EU-Staaten.

Kurz zu Deutschland: Ihr Land kooperiert militärisch besonders eng mit Israel, es liefert z. B. U-Boote der Dolphin-Klasse, die Atomraketen tragen können. Deutschland läßt auch seine Soldaten für den Afghanistan-Einsatz an israelischen Drohnen ausbilden. Das alles sollte die deutsche Friedensbewegung anprangern – auch im eigenen Interesse.

Druck von unten könnte auch dazu beitragen, daß endlich das EU-Assoziationsabkommen mit Israel eingefroren wird. Es räumt den Partnern nur dann bevorzugte Handelsbeziehungen ein, wenn sie sich an die Menschenrechte halten.

Norman Finkelstein- This Time We Went Too Faar

Norman Finkelstein zu den Reden Netanjahus und Hillary Clintons vor der AIPAC-Konferenz

Interview mit Democracy Now!

von Norman G. Finkelstein

23.03.2010 — Democracy Now!

— abgelegt unter:

Auf der AIPAC-Konferenz (am 22. März) sagte Außenministerin Clinton vor den Versammelten, die USA fühlten sich Israel auch weiterhin „felsenfest“ verpflichtet. Allerdings kritisierte sie Israel für dessen fortlaufenden Siedlungsbau im besetzten Ost-Jerusalem. Einige Stunden später hielt Netanjahu auf derselben Konferenz eine trotzige Rede, in der er die Kritik der USA zurückwies und schwor, mit dem Siedlungsbau fortzufahren. Wir sprechen nun mit Norman Finkelstein. Sein neues Buch heißt: ‚This Time We Went Too Far: Truth and Consequences of the Gaza Invasion‘ (siehe OrBooks.com).

Norman Finkelstein hat mehrere Bücher über den israelisch-palästinensischen Konflikt verfasst.* Eine neue Dokumentation (‚American Radical: The Trials of Norman Finkelstein‘) befasst sich mit seiner Person.

Sharif Abdel Kouddous:

Die Krankenversicherung ist heute nicht das einzige Thema auf Präsident Obamas Agenda. Er wird heute im Weißen Haus mit dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu zusammentreffen.

Gestern Abend, bei der AIPAC-Konferenz, hielt Netanjahu eine trotzige Rede. AIPAC ist eine Abkürzung für American Israel Public Affairs Committee (die wichtigste Israel-Lobby in den USA – Anmerkung d. Übersetzerin). Netanjahu schwor, die Siedlungen im besetzten Ost-Jerusalem auszubauen – trotz der Kritik des Weißen Hauses unter Präsident Obama.

(Einblenung)

Benjamin Netanjahu:

Meine Damen und Herren, die Verbindung zwischen dem jüdischen Volk und dem Lande Israel kann nicht geleugnet werden. Die Verbindung zwischen dem jüdischen Volk und Jerusalem kann nicht geleugnet werden. Das jüdische Volk hat Jerusalem vor über 3000 Jahren erbaut, und das jüdische Volk baut auch heute an Jerusalem. Jerusalem ist keine Siedlung. Es ist unsere Hauptstadt (Ende).

Sharif Abdel Kouddous:

Mehrere Stunden, bevor Netanjahu seine Rede auf der AIPAC-Konferenz hielt, sagte Außenministerin Hillary Clinton zu den Teilnehmern der Konferenz, die USA fühlten sich der Sicherheit und der Zukunft Israels „felsenfest“ verpflichtet. Allerdings kritisierte Clinton den kontinuierlichen Siedlungsbau im besetzten Ost-Jerusalem.

(Einblendung)

Hillary Clinton:

Erneute Bauaktivität in Ost-Jerusalem oder der Westbank untergräbt dieses wechselseitige Vertrauen, und gefährdet die Annäherungsgespräche, die ein erster Schritt für vollwertige Verhandlungen sein werden, von denen beide Seiten behaupten, dass sie sie wollen und brauchen. Und es bringt Dinge zwischen Israel und den Vereinigten Staaten ans Tageslicht, die andere in der Region hoffen, ausnützen zu können. Sie (die Bauaktivitäten) untergraben die einzigartige Fähigkeit Amerikas, eine Rolle – eine essentielle Rolle – im Friedensprozess zu spielen. Unsere Glaubwürdigkeit bei diesem Prozess hängt zum Teil auch damit zusammen, dass wir bereit sind, beide Seiten zu loben, wenn sie mutig sind und dass wir es sagen und mit einer Stimme aussprechen, wenn wir nicht einverstanden sind. (Ende)

Bei uns im Studio ist jetzt der Autor und Intellektuelle Norman Finkelstein. Er ist Autor zahlreicher Bücher über den palästinensisch-israelischen Konflikt*. (…)

Norman – willkommen bei Democracy Now!

Danke.

Bitte zunächst einmal Ihre Reaktion auf das, was Außenministerin Clinton und der israelische Premierminister gesagt haben. Außenministerin Clinton hat Israel ja im Grunde kritisiert. Waren Sie überrascht?

Es hat mich nicht wirklich überrascht. Ich denke, man sollte einen Blick auf  den Rahmen dieser Kritik werfen. Das internationale Recht hat eine Entscheidung zu Ost-Jerusalem getroffen beziehungsweise seine Meinung dazu geäußert. Im Juli 2004 erging vom höchsten Gericht der Welt – dem Internationalen Gerichtshof – ein Ratschlag (advisory opinion). Der Gerichtshof war einstimmig der Überzeugung, Ost-Jerusalem sei „besetztes palästinensisches Territorium“. Das ist der Wortlaut. Es geht hier also nicht um einen umstrittenen Anspruch auf Jerusalem – ganz zu schweigen von einem israelischen Exklusivrecht auf Ost-Jerusalem. Die Rechtslage ist eindeutig: Es handelt sich um besetztes palästinensisches Gebiet, weil man es sich im Laufe des Juni-Krieges 1967 (Sechstagekrieg), angeeignet hat. Das internationale Recht verbietet jedoch, sich Gebiete durch Krieg anzueignen.

Ich möchte noch hinzufügen, dass diese Haltung von sämtlichen Menschenrechtsorganisationen geteilt wird. Es ist auch die Position des Goldstone-Reports. In diesem Report wird Ost-Jerusalem wiederholt als besetztes palästinensisches Territorium bezeichnet. Dabei ist Mr. Goldstone – nach eigenem Bekenntnis – Zionist. Er liebt Israel, aber er respektiert auch das Recht, und das ist in diesem Falle eindeutig.

Nun, reden wir über den Goldstone-Report. Im Nachwort zu Ihrem neuen Buch (‚This Time We Went Too Far: Truth and Consequences of the Gaza Invasion‘) schreiben Sie ausführlich über diesen Bericht. Israel und die USA weisen die Anschuldigungen des Reports, es sei zu Kriegsverbrechen gekommen, zurück. Sagen Sie uns etwas zu dem Bericht. Wer hat ihn erstellt? Wer ist dieser Richter Goldstone, und wie haben die USA und Israel darauf reagiert?

Der Goldstone-Report kam durch ein Mandat des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen zustande. Richter Goldstone ist eine distinguierter internationaler Jurist. Er hat diese Mission geleitet. Und er…. schließlich wurde dieser ziemlich gehaltvolle Bericht veröffentlicht. Er umfasst rund 500 Seiten – 550 Seiten. Viele Themen werden darin behandelt. Was die Anschuldigungen gegen Israel angeht, so ist der Bericht ziemlich verheerend ausgefallen. So heißt es darin, Israel habe in unverhältnismäßiger Weise Gewalt angewendet, um eine Zivilbevölkerung zu strafen, zu demütigen und zu terrorisieren.

Nun, in Israel war man empört über den Bericht – über das gesamte Spektrum hinweg, nicht nur im rechten Flügel. Auch Leute wie Schimon Peres, der von sich behauptet, er sei eine Taube (war empört). Er nannte Richard Goldstone einen „kleinen Mann“, der keine Ahnung von internationalem Recht habe. Michael Oren, der Israelische Botschafter in den USA, sagte, der Report sei übler als die so genannten „Protokolle der Weisen von Zion“ und schlimmer als Ahmadinedschad. Ganz ähnlich reagierten die USA.

Nach der Schelte aus den USA ging Goldstone auf die Kritik ein. Er sagte: „Okay, Sie behaupten, der Bericht stecke voller Fehler. Zeigen Sie mir wo“. Bis heute… Ich habe alle Kritiken gelesen, davon drei wichtige. Die erste stammt von dem israelisch-amerikanischen Professor Moshe Halbertal, die zweite von Professor Dershowitz (Harvard). Die dritte war jene Zurückweisung des Berichts durch Israel. Sie umfasst 500 Seiten und wurde letzte Woche veröffentlicht. Ich habe ehrlich versucht, die Dinge objektiv zu sehen. Doch die Reaktionen waren sehr substanzlos. Ich war ziemlich beeindruckt von der Art wie Goldstone sich mit der Kritik auseinandergesetzt hat. Der Report ist sehr vorsichtig, sorgfältig und mit Urteilsvermögen verfasst.

Was ist seine Schlussfolgerung?

Seine Schlussfolgerung lautet, dass sowohl Israel als auch die Hamas sich schuldig gemacht hätten, Kriegsverbrechen begangen zu haben – möglicherweise auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sie (die Schlussfolgerung) lautet, Israel habe die Pflicht, eine Untersuchung durchzuführen – eine unabhängige Untersuchung der Geschehnisse. Falls sie diese unabhängige Untersuchung nicht durchführen, sollten sie vor den Internationalen Strafgerichtshof gestellt werden, heißt es.

Und wie hat Obama darauf reagiert?

Die Obama-Administration sagte, der Report sei voller Fehler. Allerdings brachten sie keine substanziellen Beweise für diese Behauptung bei.

Dann erfolgte der jüngste Schlagabtausch zwischen den USA und Israel, über den Ausbau der jüdischen Wohnungen in Ost-Jerusalem. Es war viel von diplomatischen Verbindungen die Rede. Allerdings sagten sie an keiner Stelle, dass die US-Militärhilfe oder die US-Wirtschaftshilfe für Israel eingefroren werden soll. Sagen Sie uns bitte etwas zur Höhe dieser Hilfen an Israel. Im Grunde rühmte Hillary Clinton noch die Tatsache, dass die USA 2010 die Militärhilfe für Israel aufgestockt haben.

Nun, ich bin sicher, dass alle ihre ZuschauerInnen und ZuhörerInnen wissen, wie enorm hoch die US-Hilfen für Israel sind. Ich denke, ‚Amnesty International‘ hat – nach der Gaza-Invasion – eine wichtige Entwicklung angesprochen. Zu dieser Zeit gab Amnesty einen sehr gehaltvollen Bericht heraus, der den Titel trug: ‚Fueling Conflict‘ (Konflikte schüren). Darin heißt es, wenn man an jemanden Waffen liefert, der ständig gegen die Menschenrechte verstößt, so ist das illegal gemäß internationalem Recht. Israel verstößt andauernd gegen die Menschenrechte, also muss ein umfassendes Waffenembargo gegen Israel her. Der Report setzt sich mit allen Ländern dieser Welt auseinander, die Waffen nach Israel liefern und schildert, wie diese Waffen transferiert und geliefert werden. Am intensivsten – das muss allerdings gesagt werden -, konzentriert sich der Report auf die USA.

Drei Hauptpunkte werden in dem Amnesty-Report konstatiert: Erstens, die USA seien mit Abstand der größte Waffenlieferant an Israel. Zweitens, Waffenlieferungen an Israel seien nicht nur illegal gemäß internationalem Recht sondern auch illegal gemäß amerikanischem Recht. Drittens steht dort – und ich finde, Ihr Publikum sollte das unbedingt wissen -, dass das, was in Gaza geschehen ist, ohne das Geld der amerikanischen Steuerzahler nicht möglich gewesen wäre. Wenn Sie angewidert sind angesichts der Zerstörungen und der Toten, der systematischen Angriffe auf Moscheen, der systematischen Angriffe auf Ambulanzen, der systematischen Angriffe auf Krankenhäuser und Schulen….

All diese Details wurden auch im Goldstone-Report ausgeführt, nicht?

Ja. 6000 Wohnhäuser wurden völlig oder teilweise zerstört. Amnesty sagt, für all das hätten amerikanische Steuerzahler gezahlt.

Und nun kommt Hillary Clinton und rechtfertigt die US-Militärhilfe für Israel. Was sie nicht gesagt hat, ist, dass dies gemäß internationalem Recht ebenso wie gemäß amerikanischem Recht illegal ist. Zweitens: Die amerikanische Hilfe, hat dies ermöglicht (was in Gaza passierte). Sie dürfen nicht vergessen… ich weiß, ihr Programm (Democracy Now!) hat über den Einsatz von weißem Phosphors berichtet. Jede Granate mit weißem Phosphor, die gefunden wurde (siehe hierzu den Report von ‚Human Rights Watch‘), jede einzelne, wurde in den USA produziert. Wir sind verantwortlich für diesen Krieg. Und das ist nicht nur ein Klischee. Es ist eine Tatsache. Wir haben dieses Massaker ermöglicht.

‚This Time  We Went Too Far…‘ ist der Titel Ihres neuen Buches, das diese Woche erschienen ist.

Mm-hmm.

Bitte ein Zitat.

Yeah. Ich zitiere den israelischen Kolumnisten Gideon Levy. Ich glaube, er hat die Essenz des Buches erfasst – insbesondere hat er erfasst, dass Israel mit Gaza eine bestimmte Schwelle überschritten hat, denn im Grunde war es…. Man könnte sagen, Israels frühere Konflikte mit den Nachbarn hatten eine militärische Komponente und eine gegen Zivilisten gerichtete Komponente. Meist entsprach die gegen Zivilisten gerichtete Komponente der militärischen oder war sogar noch umfassender. Aber Gaza, das war – Gaza war kein Krieg, weil es keine militärischen Handlungen gab. Auch ein strategischer Analyst aus Israel hat gesagt: Es gab keinen Krieg in Gaza. Es gab keine Schlachten in Gaza. Israel beging ein Massaker, verübte ein Massaker an einer schutzlosen Zivilbevölkerung. Das war nicht mehr zu rechtfertigen.

Und aus diesem Grund… Seither ist viel Zeit vergangen. Man sollte eigentlich meinen, die Leute hätten das Massaker von Gaza vergessen. Es ist nun schon anderthalb Jahre her. Die Menschen vergessen schnell. Aber dieses Mal ist es ihnen nicht möglich. Israel entgeht dem Schatten, dem Gespenst, von Gaza nicht. Zum Teil liegt das daran, dass sie zu weit gegangen sind, zum Teil an dem Report von Goldstone. Normalerweise benutzt Israel Anschuldigungen wie man sei antisemitisch,  man sei ein Leugner des Holocausts oder ein sich selbst hassender Jude, um die Kritiker der israelischen Politik in Misskredit zu bringen. Aber angesichts von Richard Goldstones Hintergrund – er ist ja Zionist, er liebt Israel und sitzt im Vorstand der Hebräischen Universität von Jerusalem, seine Mutter war Aktivistin der Zionistischen Bewegung, seine Tochter beging Aliyah gegenüber Israel. Also haben diese Verleumdungen nicht gegriffen.

‚Aliyah‘ heißt, sie zog nach Israel um.

Ja. Diese Verleumdungen passten einfach nicht zu Goldstone. Netanjahu sagte einmal in einer Rede, eine der drei größten Herausforderungen für uns ist die Bedrohung durch den Iran. Die zweit größte auf seiner Liste war der Goldstone-Report.

Nun, Norman, wenn wir schon beim Thema sind: Menschen, die die israelische Außenpolitik kritisieren. Es gibt eine neue Dokumentation über Sie – mit dem Titel: ‚American Radical: The Trials of Norman Finkelstein‘. Ich möchte gerne einen Ausschnitt daraus zu Gehör bringen. Er zeigt, wie der israelisch-palästinensische Konflikt zum ersten Mal Ihr Interesse erregte.

(Einblendung)

Zum ersten Mal wurde ich im Juni 1982 – durch den israelischen Einmarsch in den Libanon – öffentlich und politisch in den israelisch-palästinensischen Konflikt hineingezogen. Wissen Sie, Schätzungen zufolge wurden dabei rund 20 000 palästinensische Libanesen getötet, das meiste davon Zivilisten. Als der Krieg begann, ging ich sofort los und demonstrierte vor dem Israelischen Konsulat direkt vor der 42nd Straße. Ich war dort Tag für Tag, Nacht für Nacht. Ich hatte ein großes Poster bei mir, auf dem stand: „Dieser Sohn von Überlebenden des Warschauer Gettos, von Auschwitz und Majdanek wird nicht schweigen. Israelische Nazis – stoppt diesen Holocaust im Libanon‘.  Ich schaffte es, das alles auf einem einzigen Poster unterzubringen. Und so begann ich, mich vehement in den israelisch-palästinensischen Konflikt einzulesen. (Ende)

Das war ein Auszug aus der neuen Dokumentation: ‚American Radical: The Trials of Norman Finkelstein‘. Norman – was halten Sie von dem Film? Bitte, sagen Sie uns auch etwas über die Geschichte Ihrer Familie. Das ist sehr interessant. Es zieht sich durch: Die Gespräche über Ihre Eltern, die Holocaust-Überlebende waren. Können Sie Benjamin Netanjahus gestrige Anspielung auf den Holocaust – während seiner AIPAC-Rede – kommentieren?

Nun, ich habe den Film noch gar nicht gesehen. Aber enge Freunde von mir haben ihn sich angesehen. Die meisten – nicht alle – aber immerhin die meisten, finden, dass ich darin akkurat gezeichnet bin, im Guten wie im Schlechten. Wie das chinesische Sprichwort sagt: Du lebst heute in interessanten Zeiten. Ich weiß nicht, ob es ein Kompliment ist oder nicht, aber sie sagen, der Film sei akkurat.

Von meinen Eltern bin ich offensichtlich tief geprägt, vor allem in moralischer Hinsicht. Meine Mutter war eine sehr kluge Frau. Allerdings mochte sie sich nicht auf intellektueller Ebene über den Krieg unterhalten. Sie hatte das Gefühl, es würde dem Horror des Krieges, dessen, was Krieg bedeutet, nicht gerecht, wenn man ihn intellektualisiert. Nehmen wir den Vietnamkrieg. Wenn wir uns (im Fernsehen) die Kriegsdebatten in der Show ‚Firing Line‘ ansahen – zwischen William Buckley und John Kenneth Galbraith oder William Buckley und – ich komme jetzt nicht auf den Namen des anderen Kerls -, aber am Schluss der Diskussion standen sie jedesmal auf und reichten sich die Hände und klopften sich auf die Schultern. Meine Mutter fand das widerlich. Die diskutierten da über Leben und Tod, über Napalm, das auf Kinder abgeworfen wird, und am Schluss stehen sie einfach auf und geben sich die Hand, als sei das alles nicht so ernst.

Zu dieser Zeit tat ich mir sehr schwer, rational über das Thema Krieg zu sprechen. Ich hatte das Gefühl, meine Eltern zu verraten, wenn ich mich an intellektuellen Debatten darüber beteiligen würde. Ich glaube, das ging so lange, bis ich anfing, (Professor) Chomskys Werk zu lesen. Mir wurde klar, dass man mit Argumenten streiten – mit Argumenten argumentieren – kann, ohne die Moral hinter den eigenen Gefühlen zu verraten. Bevor ich Chomsky gelesen hatte, konnte ich mich nicht gut artikulieren, wenn es um dieses Thema ging. Heute habe ich das Gefühl, ich kann es ganz gut.

Norman – wir haben nur noch, oh, weniger als eine Minute. Am Ende Ihres neuen Buches ‚This Time We Went Too Far…‘ erwähnen Sie Gandhi.

Mm-hmm. Ja.  Im vergangenen Jahr las ich circa 20 000 Seiten von Gandhis Werk – rund die Hälfte seiner gesammelten Werke. Ich empfand ihn als zutiefst inspirierend – sowohl seine Person als auch seine politische Haltung. Ich denke, sein Ansatz könnte auch im israelisch-palästinensischen Konflikt funktionieren. Es würde eine Weile dauern, um es zu erläutern – denn Gandhi ist nicht annähernd so offensichtlich, wie die Leute immer meinen: Gandhi gleich Gewaltlosigkeit. Nein, seine Theorie war sehr reich an Nuancen und sehr subtil. Ich denke, dass das, was er zu sagen hatte, auch für den israelisch-palästinensischen Konflikt relevant wäre. Ich denke, die Strategie, die die Palästinenser heute anwenden – rund um die Mauer und in Ost-Jerusalem – entspricht den von Gandhi entwickelten Taktiken. Ich denke, diese hätten die größte Aussicht auf Erfolg.

Norman Finkelsteins neues Buch heißt ‚This Time We Went Too Far: Truth and Consequences of the Gaza Invasion‘. (OrBooks.com) Der Film über ihn heißt: ‚American Radial: The Trials of Norman Finkelstein‘.

Anmerkung d. Übersetzerin

*Autor von ‚Die Holocaust-Industrie‘

Zum Nahostkonflikt ist auf Deutsch von ihm erschienen:

‚Palästina. Meine persönliche Begegnung mit der Intifada‘ (2003 bei Dederichs)