Die Blockade von Berlin versus die von Gaza

Mit diesem Artikel will ich die heuchlerische Politik der deutsche Regierung darstellen, und des Westens allgemein, was die Blockade von Gaza betrifft. Was damals mit Berlin geschah, passiert heute mit Gaza, die totale Blockade. Nur was damals als völkerrechtswidriger Akt weltweit verurteilt wurde, wird heute kritiklos geduldet, ja sogar verteidigt. Das zeigt, es kommt immer darauf an wer ein Verbrechen begeht. Diese Doppelmoral ist unmenschlich und ein Skandal.

Gehen wir zurück ins Jahr 1948 und erinnern wir uns an die Berlin-Blockade und an die Rosinenbomber. Dieses historische Ereignis wird doch so gerne als heroisches Durchhalten der Berliner Bevölkerung, der grosszügigen Hilfeleitung der Alliierten und böse Tat der Sowjets dargestellt.

Vom 24. Juni 1948 bis 12. Mai 1949, also für fast ein Jahr, wurde West-Berlin, das mitten in der Sowjetischen Besatzungszone lag, komplett von der Aussenwelt abgeschnitten. Die Versorgung der Stadt von Westdeutschland aus, über die Transitstrecke, Eisenbahn und Binnenschifffahrt, war nicht mehr möglich. 2,2 Millionen Menschen waren davon betroffen.

Die Sowjetunion wollte mit dieser Blockade einen Rückzug der Westalliierten aus Gross-Berlin erzwingen und ihren Anspruch auf das gesamte Berlin demonstrieren. Eine kriminelle Erpressung und verbotene Kollektivstrafe.

Als Blockade-Brecher wurden dann Flugzeuge der drei Westmächte eingesetzt, die berühmte Luftbrücke, welche die Stadt mit lebensnotwendigen Gütern versorgte. Neben Nahrungsmitteln wie Getreide, Trockenmilch, Trockenkartoffeln und Mehl wurde hauptsächlich Kohle als Brennstoff und zur Stromproduktion, Benzin, Medikamente und alle anderen in Berlin benötigten Dinge eingeflogen.

Genau wie in Gaza lag Berlin durch die Bombardierung in Trümmern und wartete auf Hilfe:

Es wurden bis zu 1.398 Flüge innerhalb von 24 Stunden durchgeführt und insgesamt 2,34 Millionen Tonnen Fracht transportiert. Dadurch konnten die Menschen in West-Berlin einigermassen überleben. Bei dieser Hilfsaktion kamen 83 Menschen, darunter 13 Deutsche, durch Abstürze oder Unfälle ums Leben. Ich möchte aber betonen, die Sowjets haben nie eines dieser Hilfstransporte angegriffen oder abgeschossen.

Die Flugzeugbesatzungen und Helfer riskierten ihr Leben und wurden als Helden gefeiert, weil sie die Blockade durch die Sowjets brachen. Es wurden Gedenksteine errichtet und an das Ereignis wird jedes Jahr erinnert, völlig zu recht!

Jetzt schauen wir uns die Situation in Gaza an.

Der Gazastreifen ist das Küstengebiet am östlichen Mittelmeer das fast gänzlich von Israel umgeben ist, mit einem kurzen Grenzabschnitt zu Ägypten. Es leben dort 1,5 Millionen Palästinenser. Das Gebiet gehört, wie das Westjordanland, zu den Palästinensischen Autonomiegebieten und steht im Inneren formal unter Verwaltung der Palästinensischen Autonomiebehörde. Israel nimmt die Kontrolle der gesamten Aussengrenzen auf der Landseite und der Seeseite sowie die indirekte Kontrolle des Personenverkehrs über Videoüberwachung der ägyptischen Seite wahr.

Der Gazastreifen ist durch eine undurchdringliche Mauer oder einem Stacheldrahtzaun umschlossen. Niemand darf rein oder raus, auch der Warenverkehr ist auf ein Minimum eingeschränkt. Kein Bewohner von Gaza darf sich dieser Mauer auf 300 Meter nähern, sonst wird er von israelischen Soldaten erschossen. Bauern dürfen ihr Land nicht bestellen. Auch das Meer darf nicht mit Schiffen befahren werden. Fischerboote aus Gaza werden durch die Israelische Marine entweder zurück an die Küste gedrängt oder die Boote geentert und die Mannschaften nach Israel verschleppt.

Im Jahre 2006 erlaubte die israelische Regierung die Durchführung einer Wahl, um das selbst behauptete Image „die einzige Demokratie im Nahen Osten“ zu sein aufzupolieren. Sie erwartete, dass die von ihr unterwanderte und gesteuerte Partei der Fatah gewinnen würde. Zu ihrer Überraschung und auch die der westlichen Mächte, gewann aber die Partei der Hamas die Parlamentswahlen mit 76 von 132 Sitzen und damit die absolute Mehrheit. Die Bevölkerung von Gaza durchschaute den Trick und entschied sich nicht so wie erwartet, bzw. wie von ihr verlangt.

Diese demokratische Entscheidung wurde aber nicht von Israel und vom Westen akzeptiert. Demokratie ist nur dann gut, wenn so gewählt wird wie von oben befohlen.

Die israelische Regierung konterte mit einer kollektiven Bestrafung der Bevölkerung, verhängte eine totale Blockade, um die Menschen in Gaza mit Hunger und Not zu erpressen, die legitime Regierung der Hamas zu stürzen und klein bei zu geben. Seit dem wird nur ein Minimum an Güter reingelassen, gerade genug damit die Menschen nicht sterben. Die Bevölkerung hat nur sporadisch Strom und Wasser, die sanitären Verhältnisse sind menschenunwürdig und die medizinische Versorgung katastrophal. Tatsächlich handelt es sich um das grösste Freiluftgefängnis der Welt.

Israel wendet die gleiche Erpressungsmethode gegen Gaza an, wie damals die Sowjets gegen West-Berlin.

Mit der Zeit wurde die Not der Bevölkerung so schlimm, dass die Hamas nur noch einen Ausweg sah, um Israel an den Verhandlungstisch zu zwingen, um die Umklammerung zu lockern. Sie fingen an selbst gebastelte Raketen auf Israel abzufeuern, die aber praktisch keinen Schaden anrichteten. Diese Notwehr wurde von Israel propagandistisch völlig aufgeblasen und dazu benutzt, um sich als armes Opfer darzustellen, die Hamas als Terrororganisation zu brandmarken, eine Bezeichnung welche die USA, die EU und alle Medien übernahmen, und sie begannen Gaza regelmässig anzugreifen. Auch die Treibstofflieferungen wurde für das einzige Kraftwerk eingestellt. Es gab keinen Strom mehr.

Im Juni 2008 wurde ein Waffenstillstand zwischen den Parteien vereinbart, den die Hamas bis November einhielt. Erst als Israel sechs Hamas-Aktivisten in der Nacht vom 4. auf den 5. November 2008 bei einer Kommando-Aktion ermordete, fing der Raketenbeschuss als Reaktion wieder an. Das hat dann Israel als Vorwand benutzt, um einen Bombenkrieg gegen Gaza ab 27. Dezember 2008 bis 18. Januar 2009 zu starten. Dabei wurden 1.417 Zivilisten ermordet, davon 313 Kinder und 116 Frauen, sowie 5’500 Menschen verletzt, 4’000 Häuser total zerstört, darunter Moscheen, Schulen und Krankenhäuser, und 21’000 Gebäude schwer beschädigt.

Die Blockade wurde dann noch mehr verschärft und auf die Liste der sogenannten sicherheitsrelevanten Güter, die nicht eingeführt werden dürfen, kamen Sachen wie, Schokolade, Kekse, Papier, Konfitüre, Fleisch, Essig, Samen, Margarine, Gips, Bauholz, Zement, Eisen, Glas, Metallbehälter, Plastikplanen, Stoffe, Ersatzteile, Musikinstrumente, Zeitungen, Spielzeug, Heizkörper, Nutztiere und Angelruten.

Diese Waren sollen die Sicherheit Israels gefährden und sind deshalb verboten.

Das heisst, die Menschen in Gaza können gar nicht ihre zerstörten Häuser wieder aufbauen oder reparieren, ja nicht mal die zerplatzen Glasscheiben der Fenster ersetzen und sie leben unter den primitivsten Verhältnisse in ausgebombten Ruinen, völlig von der Aussenwelt abgeschnitten.

Die Bewohner von Gaza leben im Zelten neben ihren zerstörten Häusern:

Um diese unsägliche Not zu lindern, haben verschiedene Hilfsorganisation versucht mit Lastwagen über Land und mit Schiffen übers Meer, die dringend benötigte Güter den Bedürftigen nach Gaza zu liefern. Immer wieder wurden Boote mit Gütern gerammt und die Besatzung verhaftet, die Lastwagen an der Grenzüberquerung gehindert. Der neueste Lieferungsversuch war der Hilfskonvoi der sechs Schiffe vom 31. Mai 2010, der wie bekannt von israelischen Soldaten in internationalen Gewässern überfallen wurde. Bei diesem Piratenakt sind mindestens 19 Teilnehmer der Hilfsaktion ermordet und 50 verletzt worden.

Die Passagiere sind von der israelischen Regierung als Terroristen verleumdet und der Überfall als legitime Notwehr bezeichnet worden, eine völlige Verdrehung der Tatsachen. Mit gefälschten Beweisen und grosser Medienaktion hat man die Blockade-Brecher als Bösewichte hingestellt, dabei wollten sie nur den Menschen in Gaza helfen.

Was Israel mit den Schiffen getan hat, wäre genau so wie wenn die Sowjets damals die Rosinenbomber auf dem Flug nach Berlin abgeschossen hätten. Und wenn die Westberliner sich gegen die Blockade gewehrt hätten, weil sie um ihr Überleben kämpften, die Sowjets zur Bestrafung mit Bomben, Granaten und Panzern angegriffen und Tausende Berliner dabei getötet hätten.

Wir sehen, im Falle von Berlin waren die Blockade-Brecher gefeierte Helden, die Lieferung von Hilfsgütern war richtig und von der ganzen Welt begrüsst. Die Sowjets waren mit ihrer Erpressung die Bösen. Jetzt ist alles verdreht und pervertiert. Die welche die Blockade machen, 1,5 Millionen Menschen einsperren, einer Kollektivstrafe unterziehen und leiden lassen, Passagiere ermorden und die Hilfslieferungen verhindern, sind die guten. Die Helfer sind die bösen, ja sogar Terroristen. Die westlichen Regierungen goutieren die kriminelle Handlung Israels.

Woher kommen die Bewohner von Gaza? Die meisten sind Flüchtlinge, bzw. ihre Vorfahren, die aus dem heutigen Gebiet das Israel heisst durch ethnische Säuberung und Gewalt vertrieben wurden. Die marodierenden Vandalen des Zionismus ermordeten unschuldige Menschen, zerstörten Tausende Häuser, planierten Hunderte Dörfer und vertrieben einen Grossteil der Palästinenser von ihrem angestammten Heimatland. Die Palästinenser nennen diese Vertreibung die Nakba, oder die grosse Katastrophe.

Was haben die Bewohner von Gaza getan, dass sie diese unmenschliche und illegale Behandlung erleben müssen? Wieso dürfen sie die lebensnotwendigen und für uns völlig alltäglichen Waren nicht bekommen? Haben die Palästinenser keine Menschenrechte wie wir? Wieso war es richtig die Blockade von Berlin zu brechen, aber die von Gaza jetzt nicht? Wir wissen warum. Weil Israel sich alles erlauben kann und seine Nachbarn wie Dreck behandeln darf.

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) hat die israelische Blockade des Gaza-Streifens eine Verletzung der Genfer Konvention genannt und rief die israelische Regierung dazu auf, sie aufzuheben. In einer Verlautbarung vom vergangenen Montag beschrieb die Organisation die Blockade als „Kollektivstrafe„, was ein Verbrechen unter internationalen Gesetzen darstellt. Sie beschrieb Gaza als ein Territorium welches durch ständige Stromausfälle, ruinierter Wirtschaft und zusammengebrochenem Gesundheitssystem geplagt ist.

Die auferlegte Schliessung des Gaza-Streifen geht ins vierte Jahr und erdrosselt alle echten Möglichkeiten einer Wirtschaftsentwicklung,“ sagte das IKRK. „Die Bewohner von Gaza leiden unter Arbeitslosigkeit, Armut und Krieg und der Zustand des Gesundheitssystems ist auf einem Tiefpunkt.“ B’Tselem, eine israelische Menschenrechtsorganisation, hat am Montag ihren eigenen Bericht veröffentlicht. Darin steht, 95 Prozent der Fabriken in Gaza sind geschlossen, 98 Prozent der Bewohner leiden unter Stromausfällen und 93 Prozent des Trinkwassers ist verseucht.

Das Verhalten der deutschen Regierung, diese Doppelmoral, speziell mit dieser Vergangenheit, ist ein Skandal. Wie kann man die Blockade weiter unterstützen? Wie kann man zuschauen wie 1,5 Millionen Menschen verrecken? Wer die kriminelle Vorgehensweise Israels akzeptiert, ja sogar schönredet und verteidigt, ist ein gewissenloses Subjekt, ein Feind der Menschheit, ein Mittäter und Mörder.

http://alles-schallundrauch.blogspot.com/2010/06/die-blockade-von-berlin-versus-die-von.html

»Nicht eine der Resolutionen wurde umgesetzt«

Heute wird in Palästina der »Tag des Bodens« begangen – als Erinnerung an ein Massaker im Jahr 1976. Ein Gespräch mit Jamal Jumaa

Interview: Sophia Deeg
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Jamal Jumaa ist Koordinator der palästinensischen Graswurzel-Kampagne gegen die Apartheidsmauer in Palästina

Am heutigen Dienstag erinnern sich Palästinenser überall auf der Welt an den 30. März 1976, als bei Protesten in Israel sechs von ihnen, israelische Staatsbürger, getötet und über 100 verletzt wurden. Sie hatten sich gegen die fortgesetzte Landnahme durch die israelische Regierung gewandt. Wie wird heute der »Tag des Bodens« begangen?

In diesem Jahr finden besonders viele Demonstrationen und Veranstaltungen statt. Wir sind sehr frustriert über die israelische Politik der Mißachtung von Vereinbarungen. Gerade am »Land Day« wissen sich alle Palästinenser verbunden. Immer ging es um Landnahme und Vertreibung sowie den Kampf dagegen.Vor über 30 Jahren rief die UN-Generalversammlung zu Sanktionen gegen das südafrikanische Apartheidsregime auf und verurteilte jede Kooperation mit diesem »rassistischen Regime«. Könnten sich die UN auch gegenüber Israel zu dieser Haltung durchringen?

Seit 1967/68 wurde in über 100 UN-Resolutionen versucht, in Bezug auf Palästina internationales Recht durchzusetzen. Nicht eine wurde umgesetzt. Ist das nicht eine alle Menschen berührende Mißachtung der UN und des Völkerrechts?

In Oslo wurde den Palästinensern für 1999 ein unabhängiger Staat zugesichert. Doch 2010 leben wir immer noch wie ins Südafrika in Bantustans ohne Bewegungsfreiheit. Ungezählte Verhandlungsinitiativen blieben ohne Ergebnis, weil sich Israel grundsätzlich nicht an Vereinbarungen hält. Zu ernsthaften Verhandlungen wird Israel wohl nur bereit sein, wenn es empfindliche Sanktionen hinnehmen muß. Im Fall Südafrika ging das ja auch.Sie meinen, daß sich eine Kampagne entwickeln könnte, wie sie gegen das Apartheidsregime in Südafrika möglich war?

Es gibt Parallelen. Auch in Bezug auf Südafrika machte die Zivilgesellschaft den Anfang, und schließlich folgten die Regierungen. Seit wir vor fünf Jahren unsere Kampagne begonnen haben, gab es eine große Zahl erfolgreicher Initiativen gegen Firmen überall auf der Welt, die irgendwie von der Besatzung profitieren. Die zionistische Lobby und die israelische Regierung reagieren inzwischen alarmiert. Sie sprechen von uns als »Delegitimierern« Israels. In der Tat delegitimieren wir Rassismus, Siedlungsbau auf besetztem Land, die völkerrechtswidrige Belagerung Gazas.Wie schaffen es die Dorfbewohner angesichts der massiven Repressionen, den Widerstand entlang der Mauer aufrecht zu erhalten?

Unser Widerstand dauert jetzt 60 Jahre – Israel wird ihn nicht brechen können. Das hat sich auch gezeigt, als im vergangenen Juni eine Repressionswelle begann, die heute noch anhält. Seit einigen Monaten kommt es fast täglich zu Überfällen auf die Dörfer, zu Tötungen und Verletzungen unbewaffneter Demonstranten, zu Verhaftungen und Verschleppungen, zur Verwüstung von Wohnungen.Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die internationale Solidarität mit den Palästinensern?

Eine große! Ohne die Unterstützung aus aller Welt säße ich übrigens jetzt nicht hier. Wie es tausendfach geschieht, wurde auch ich im Dezember 2009 verhaftet, ohne daß etwas gegen mich vorlag. Man verwies auf eine »geheime Akte« über mich. Auf dieser Grundlage wird man normalerweise zu sechs Monaten »Administrativhaft« verurteilt, die immer wieder verlängert werden kann. Das ist mir erspart geblieben – u. a. dank Tausender E-Mails aus aller Welt an das israelische Außenministerium und dank der diplomatischen Proteste der EU-Staaten.

Kurz zu Deutschland: Ihr Land kooperiert militärisch besonders eng mit Israel, es liefert z. B. U-Boote der Dolphin-Klasse, die Atomraketen tragen können. Deutschland läßt auch seine Soldaten für den Afghanistan-Einsatz an israelischen Drohnen ausbilden. Das alles sollte die deutsche Friedensbewegung anprangern – auch im eigenen Interesse.

Druck von unten könnte auch dazu beitragen, daß endlich das EU-Assoziationsabkommen mit Israel eingefroren wird. Es räumt den Partnern nur dann bevorzugte Handelsbeziehungen ein, wenn sie sich an die Menschenrechte halten.

Norman Finkelstein zu den Reden Netanjahus und Hillary Clintons vor der AIPAC-Konferenz

Interview mit Democracy Now!

von Norman G. Finkelstein

23.03.2010 — Democracy Now!

— abgelegt unter:

Auf der AIPAC-Konferenz (am 22. März) sagte Außenministerin Clinton vor den Versammelten, die USA fühlten sich Israel auch weiterhin „felsenfest“ verpflichtet. Allerdings kritisierte sie Israel für dessen fortlaufenden Siedlungsbau im besetzten Ost-Jerusalem. Einige Stunden später hielt Netanjahu auf derselben Konferenz eine trotzige Rede, in der er die Kritik der USA zurückwies und schwor, mit dem Siedlungsbau fortzufahren. Wir sprechen nun mit Norman Finkelstein. Sein neues Buch heißt: ‚This Time We Went Too Far: Truth and Consequences of the Gaza Invasion‘ (siehe OrBooks.com).

Norman Finkelstein hat mehrere Bücher über den israelisch-palästinensischen Konflikt verfasst.* Eine neue Dokumentation (‚American Radical: The Trials of Norman Finkelstein‘) befasst sich mit seiner Person.

Sharif Abdel Kouddous:

Die Krankenversicherung ist heute nicht das einzige Thema auf Präsident Obamas Agenda. Er wird heute im Weißen Haus mit dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu zusammentreffen.

Gestern Abend, bei der AIPAC-Konferenz, hielt Netanjahu eine trotzige Rede. AIPAC ist eine Abkürzung für American Israel Public Affairs Committee (die wichtigste Israel-Lobby in den USA – Anmerkung d. Übersetzerin). Netanjahu schwor, die Siedlungen im besetzten Ost-Jerusalem auszubauen – trotz der Kritik des Weißen Hauses unter Präsident Obama.

(Einblenung)

Benjamin Netanjahu:

Meine Damen und Herren, die Verbindung zwischen dem jüdischen Volk und dem Lande Israel kann nicht geleugnet werden. Die Verbindung zwischen dem jüdischen Volk und Jerusalem kann nicht geleugnet werden. Das jüdische Volk hat Jerusalem vor über 3000 Jahren erbaut, und das jüdische Volk baut auch heute an Jerusalem. Jerusalem ist keine Siedlung. Es ist unsere Hauptstadt (Ende).

Sharif Abdel Kouddous:

Mehrere Stunden, bevor Netanjahu seine Rede auf der AIPAC-Konferenz hielt, sagte Außenministerin Hillary Clinton zu den Teilnehmern der Konferenz, die USA fühlten sich der Sicherheit und der Zukunft Israels „felsenfest“ verpflichtet. Allerdings kritisierte Clinton den kontinuierlichen Siedlungsbau im besetzten Ost-Jerusalem.

(Einblendung)

Hillary Clinton:

Erneute Bauaktivität in Ost-Jerusalem oder der Westbank untergräbt dieses wechselseitige Vertrauen, und gefährdet die Annäherungsgespräche, die ein erster Schritt für vollwertige Verhandlungen sein werden, von denen beide Seiten behaupten, dass sie sie wollen und brauchen. Und es bringt Dinge zwischen Israel und den Vereinigten Staaten ans Tageslicht, die andere in der Region hoffen, ausnützen zu können. Sie (die Bauaktivitäten) untergraben die einzigartige Fähigkeit Amerikas, eine Rolle – eine essentielle Rolle – im Friedensprozess zu spielen. Unsere Glaubwürdigkeit bei diesem Prozess hängt zum Teil auch damit zusammen, dass wir bereit sind, beide Seiten zu loben, wenn sie mutig sind und dass wir es sagen und mit einer Stimme aussprechen, wenn wir nicht einverstanden sind. (Ende)

Bei uns im Studio ist jetzt der Autor und Intellektuelle Norman Finkelstein. Er ist Autor zahlreicher Bücher über den palästinensisch-israelischen Konflikt*. (…)

Norman – willkommen bei Democracy Now!

Danke.

Bitte zunächst einmal Ihre Reaktion auf das, was Außenministerin Clinton und der israelische Premierminister gesagt haben. Außenministerin Clinton hat Israel ja im Grunde kritisiert. Waren Sie überrascht?

Es hat mich nicht wirklich überrascht. Ich denke, man sollte einen Blick auf  den Rahmen dieser Kritik werfen. Das internationale Recht hat eine Entscheidung zu Ost-Jerusalem getroffen beziehungsweise seine Meinung dazu geäußert. Im Juli 2004 erging vom höchsten Gericht der Welt – dem Internationalen Gerichtshof – ein Ratschlag (advisory opinion). Der Gerichtshof war einstimmig der Überzeugung, Ost-Jerusalem sei „besetztes palästinensisches Territorium“. Das ist der Wortlaut. Es geht hier also nicht um einen umstrittenen Anspruch auf Jerusalem – ganz zu schweigen von einem israelischen Exklusivrecht auf Ost-Jerusalem. Die Rechtslage ist eindeutig: Es handelt sich um besetztes palästinensisches Gebiet, weil man es sich im Laufe des Juni-Krieges 1967 (Sechstagekrieg), angeeignet hat. Das internationale Recht verbietet jedoch, sich Gebiete durch Krieg anzueignen.

Ich möchte noch hinzufügen, dass diese Haltung von sämtlichen Menschenrechtsorganisationen geteilt wird. Es ist auch die Position des Goldstone-Reports. In diesem Report wird Ost-Jerusalem wiederholt als besetztes palästinensisches Territorium bezeichnet. Dabei ist Mr. Goldstone – nach eigenem Bekenntnis – Zionist. Er liebt Israel, aber er respektiert auch das Recht, und das ist in diesem Falle eindeutig.

Nun, reden wir über den Goldstone-Report. Im Nachwort zu Ihrem neuen Buch (‚This Time We Went Too Far: Truth and Consequences of the Gaza Invasion‘) schreiben Sie ausführlich über diesen Bericht. Israel und die USA weisen die Anschuldigungen des Reports, es sei zu Kriegsverbrechen gekommen, zurück. Sagen Sie uns etwas zu dem Bericht. Wer hat ihn erstellt? Wer ist dieser Richter Goldstone, und wie haben die USA und Israel darauf reagiert?

Der Goldstone-Report kam durch ein Mandat des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen zustande. Richter Goldstone ist eine distinguierter internationaler Jurist. Er hat diese Mission geleitet. Und er…. schließlich wurde dieser ziemlich gehaltvolle Bericht veröffentlicht. Er umfasst rund 500 Seiten – 550 Seiten. Viele Themen werden darin behandelt. Was die Anschuldigungen gegen Israel angeht, so ist der Bericht ziemlich verheerend ausgefallen. So heißt es darin, Israel habe in unverhältnismäßiger Weise Gewalt angewendet, um eine Zivilbevölkerung zu strafen, zu demütigen und zu terrorisieren.

Nun, in Israel war man empört über den Bericht – über das gesamte Spektrum hinweg, nicht nur im rechten Flügel. Auch Leute wie Schimon Peres, der von sich behauptet, er sei eine Taube (war empört). Er nannte Richard Goldstone einen „kleinen Mann“, der keine Ahnung von internationalem Recht habe. Michael Oren, der Israelische Botschafter in den USA, sagte, der Report sei übler als die so genannten „Protokolle der Weisen von Zion“ und schlimmer als Ahmadinedschad. Ganz ähnlich reagierten die USA.

Nach der Schelte aus den USA ging Goldstone auf die Kritik ein. Er sagte: „Okay, Sie behaupten, der Bericht stecke voller Fehler. Zeigen Sie mir wo“. Bis heute… Ich habe alle Kritiken gelesen, davon drei wichtige. Die erste stammt von dem israelisch-amerikanischen Professor Moshe Halbertal, die zweite von Professor Dershowitz (Harvard). Die dritte war jene Zurückweisung des Berichts durch Israel. Sie umfasst 500 Seiten und wurde letzte Woche veröffentlicht. Ich habe ehrlich versucht, die Dinge objektiv zu sehen. Doch die Reaktionen waren sehr substanzlos. Ich war ziemlich beeindruckt von der Art wie Goldstone sich mit der Kritik auseinandergesetzt hat. Der Report ist sehr vorsichtig, sorgfältig und mit Urteilsvermögen verfasst.

Was ist seine Schlussfolgerung?

Seine Schlussfolgerung lautet, dass sowohl Israel als auch die Hamas sich schuldig gemacht hätten, Kriegsverbrechen begangen zu haben – möglicherweise auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sie (die Schlussfolgerung) lautet, Israel habe die Pflicht, eine Untersuchung durchzuführen – eine unabhängige Untersuchung der Geschehnisse. Falls sie diese unabhängige Untersuchung nicht durchführen, sollten sie vor den Internationalen Strafgerichtshof gestellt werden, heißt es.

Und wie hat Obama darauf reagiert?

Die Obama-Administration sagte, der Report sei voller Fehler. Allerdings brachten sie keine substanziellen Beweise für diese Behauptung bei.

Dann erfolgte der jüngste Schlagabtausch zwischen den USA und Israel, über den Ausbau der jüdischen Wohnungen in Ost-Jerusalem. Es war viel von diplomatischen Verbindungen die Rede. Allerdings sagten sie an keiner Stelle, dass die US-Militärhilfe oder die US-Wirtschaftshilfe für Israel eingefroren werden soll. Sagen Sie uns bitte etwas zur Höhe dieser Hilfen an Israel. Im Grunde rühmte Hillary Clinton noch die Tatsache, dass die USA 2010 die Militärhilfe für Israel aufgestockt haben.

Nun, ich bin sicher, dass alle ihre ZuschauerInnen und ZuhörerInnen wissen, wie enorm hoch die US-Hilfen für Israel sind. Ich denke, ‚Amnesty International‘ hat – nach der Gaza-Invasion – eine wichtige Entwicklung angesprochen. Zu dieser Zeit gab Amnesty einen sehr gehaltvollen Bericht heraus, der den Titel trug: ‚Fueling Conflict‘ (Konflikte schüren). Darin heißt es, wenn man an jemanden Waffen liefert, der ständig gegen die Menschenrechte verstößt, so ist das illegal gemäß internationalem Recht. Israel verstößt andauernd gegen die Menschenrechte, also muss ein umfassendes Waffenembargo gegen Israel her. Der Report setzt sich mit allen Ländern dieser Welt auseinander, die Waffen nach Israel liefern und schildert, wie diese Waffen transferiert und geliefert werden. Am intensivsten – das muss allerdings gesagt werden -, konzentriert sich der Report auf die USA.

Drei Hauptpunkte werden in dem Amnesty-Report konstatiert: Erstens, die USA seien mit Abstand der größte Waffenlieferant an Israel. Zweitens, Waffenlieferungen an Israel seien nicht nur illegal gemäß internationalem Recht sondern auch illegal gemäß amerikanischem Recht. Drittens steht dort – und ich finde, Ihr Publikum sollte das unbedingt wissen -, dass das, was in Gaza geschehen ist, ohne das Geld der amerikanischen Steuerzahler nicht möglich gewesen wäre. Wenn Sie angewidert sind angesichts der Zerstörungen und der Toten, der systematischen Angriffe auf Moscheen, der systematischen Angriffe auf Ambulanzen, der systematischen Angriffe auf Krankenhäuser und Schulen….

All diese Details wurden auch im Goldstone-Report ausgeführt, nicht?

Ja. 6000 Wohnhäuser wurden völlig oder teilweise zerstört. Amnesty sagt, für all das hätten amerikanische Steuerzahler gezahlt.

Und nun kommt Hillary Clinton und rechtfertigt die US-Militärhilfe für Israel. Was sie nicht gesagt hat, ist, dass dies gemäß internationalem Recht ebenso wie gemäß amerikanischem Recht illegal ist. Zweitens: Die amerikanische Hilfe, hat dies ermöglicht (was in Gaza passierte). Sie dürfen nicht vergessen… ich weiß, ihr Programm (Democracy Now!) hat über den Einsatz von weißem Phosphors berichtet. Jede Granate mit weißem Phosphor, die gefunden wurde (siehe hierzu den Report von ‚Human Rights Watch‘), jede einzelne, wurde in den USA produziert. Wir sind verantwortlich für diesen Krieg. Und das ist nicht nur ein Klischee. Es ist eine Tatsache. Wir haben dieses Massaker ermöglicht.

‚This Time  We Went Too Far…‘ ist der Titel Ihres neuen Buches, das diese Woche erschienen ist.

Mm-hmm.

Bitte ein Zitat.

Yeah. Ich zitiere den israelischen Kolumnisten Gideon Levy. Ich glaube, er hat die Essenz des Buches erfasst – insbesondere hat er erfasst, dass Israel mit Gaza eine bestimmte Schwelle überschritten hat, denn im Grunde war es…. Man könnte sagen, Israels frühere Konflikte mit den Nachbarn hatten eine militärische Komponente und eine gegen Zivilisten gerichtete Komponente. Meist entsprach die gegen Zivilisten gerichtete Komponente der militärischen oder war sogar noch umfassender. Aber Gaza, das war – Gaza war kein Krieg, weil es keine militärischen Handlungen gab. Auch ein strategischer Analyst aus Israel hat gesagt: Es gab keinen Krieg in Gaza. Es gab keine Schlachten in Gaza. Israel beging ein Massaker, verübte ein Massaker an einer schutzlosen Zivilbevölkerung. Das war nicht mehr zu rechtfertigen.

Und aus diesem Grund… Seither ist viel Zeit vergangen. Man sollte eigentlich meinen, die Leute hätten das Massaker von Gaza vergessen. Es ist nun schon anderthalb Jahre her. Die Menschen vergessen schnell. Aber dieses Mal ist es ihnen nicht möglich. Israel entgeht dem Schatten, dem Gespenst, von Gaza nicht. Zum Teil liegt das daran, dass sie zu weit gegangen sind, zum Teil an dem Report von Goldstone. Normalerweise benutzt Israel Anschuldigungen wie man sei antisemitisch,  man sei ein Leugner des Holocausts oder ein sich selbst hassender Jude, um die Kritiker der israelischen Politik in Misskredit zu bringen. Aber angesichts von Richard Goldstones Hintergrund – er ist ja Zionist, er liebt Israel und sitzt im Vorstand der Hebräischen Universität von Jerusalem, seine Mutter war Aktivistin der Zionistischen Bewegung, seine Tochter beging Aliyah gegenüber Israel. Also haben diese Verleumdungen nicht gegriffen.

‚Aliyah‘ heißt, sie zog nach Israel um.

Ja. Diese Verleumdungen passten einfach nicht zu Goldstone. Netanjahu sagte einmal in einer Rede, eine der drei größten Herausforderungen für uns ist die Bedrohung durch den Iran. Die zweit größte auf seiner Liste war der Goldstone-Report.

Nun, Norman, wenn wir schon beim Thema sind: Menschen, die die israelische Außenpolitik kritisieren. Es gibt eine neue Dokumentation über Sie – mit dem Titel: ‚American Radical: The Trials of Norman Finkelstein‘. Ich möchte gerne einen Ausschnitt daraus zu Gehör bringen. Er zeigt, wie der israelisch-palästinensische Konflikt zum ersten Mal Ihr Interesse erregte.

(Einblendung)

Zum ersten Mal wurde ich im Juni 1982 – durch den israelischen Einmarsch in den Libanon – öffentlich und politisch in den israelisch-palästinensischen Konflikt hineingezogen. Wissen Sie, Schätzungen zufolge wurden dabei rund 20 000 palästinensische Libanesen getötet, das meiste davon Zivilisten. Als der Krieg begann, ging ich sofort los und demonstrierte vor dem Israelischen Konsulat direkt vor der 42nd Straße. Ich war dort Tag für Tag, Nacht für Nacht. Ich hatte ein großes Poster bei mir, auf dem stand: „Dieser Sohn von Überlebenden des Warschauer Gettos, von Auschwitz und Majdanek wird nicht schweigen. Israelische Nazis – stoppt diesen Holocaust im Libanon‘.  Ich schaffte es, das alles auf einem einzigen Poster unterzubringen. Und so begann ich, mich vehement in den israelisch-palästinensischen Konflikt einzulesen. (Ende)

Das war ein Auszug aus der neuen Dokumentation: ‚American Radical: The Trials of Norman Finkelstein‘. Norman – was halten Sie von dem Film? Bitte, sagen Sie uns auch etwas über die Geschichte Ihrer Familie. Das ist sehr interessant. Es zieht sich durch: Die Gespräche über Ihre Eltern, die Holocaust-Überlebende waren. Können Sie Benjamin Netanjahus gestrige Anspielung auf den Holocaust – während seiner AIPAC-Rede – kommentieren?

Nun, ich habe den Film noch gar nicht gesehen. Aber enge Freunde von mir haben ihn sich angesehen. Die meisten – nicht alle – aber immerhin die meisten, finden, dass ich darin akkurat gezeichnet bin, im Guten wie im Schlechten. Wie das chinesische Sprichwort sagt: Du lebst heute in interessanten Zeiten. Ich weiß nicht, ob es ein Kompliment ist oder nicht, aber sie sagen, der Film sei akkurat.

Von meinen Eltern bin ich offensichtlich tief geprägt, vor allem in moralischer Hinsicht. Meine Mutter war eine sehr kluge Frau. Allerdings mochte sie sich nicht auf intellektueller Ebene über den Krieg unterhalten. Sie hatte das Gefühl, es würde dem Horror des Krieges, dessen, was Krieg bedeutet, nicht gerecht, wenn man ihn intellektualisiert. Nehmen wir den Vietnamkrieg. Wenn wir uns (im Fernsehen) die Kriegsdebatten in der Show ‚Firing Line‘ ansahen – zwischen William Buckley und John Kenneth Galbraith oder William Buckley und – ich komme jetzt nicht auf den Namen des anderen Kerls -, aber am Schluss der Diskussion standen sie jedesmal auf und reichten sich die Hände und klopften sich auf die Schultern. Meine Mutter fand das widerlich. Die diskutierten da über Leben und Tod, über Napalm, das auf Kinder abgeworfen wird, und am Schluss stehen sie einfach auf und geben sich die Hand, als sei das alles nicht so ernst.

Zu dieser Zeit tat ich mir sehr schwer, rational über das Thema Krieg zu sprechen. Ich hatte das Gefühl, meine Eltern zu verraten, wenn ich mich an intellektuellen Debatten darüber beteiligen würde. Ich glaube, das ging so lange, bis ich anfing, (Professor) Chomskys Werk zu lesen. Mir wurde klar, dass man mit Argumenten streiten – mit Argumenten argumentieren – kann, ohne die Moral hinter den eigenen Gefühlen zu verraten. Bevor ich Chomsky gelesen hatte, konnte ich mich nicht gut artikulieren, wenn es um dieses Thema ging. Heute habe ich das Gefühl, ich kann es ganz gut.

Norman – wir haben nur noch, oh, weniger als eine Minute. Am Ende Ihres neuen Buches ‚This Time We Went Too Far…‘ erwähnen Sie Gandhi.

Mm-hmm. Ja.  Im vergangenen Jahr las ich circa 20 000 Seiten von Gandhis Werk – rund die Hälfte seiner gesammelten Werke. Ich empfand ihn als zutiefst inspirierend – sowohl seine Person als auch seine politische Haltung. Ich denke, sein Ansatz könnte auch im israelisch-palästinensischen Konflikt funktionieren. Es würde eine Weile dauern, um es zu erläutern – denn Gandhi ist nicht annähernd so offensichtlich, wie die Leute immer meinen: Gandhi gleich Gewaltlosigkeit. Nein, seine Theorie war sehr reich an Nuancen und sehr subtil. Ich denke, dass das, was er zu sagen hatte, auch für den israelisch-palästinensischen Konflikt relevant wäre. Ich denke, die Strategie, die die Palästinenser heute anwenden – rund um die Mauer und in Ost-Jerusalem – entspricht den von Gandhi entwickelten Taktiken. Ich denke, diese hätten die größte Aussicht auf Erfolg.

Norman Finkelsteins neues Buch heißt ‚This Time We Went Too Far: Truth and Consequences of the Gaza Invasion‘. (OrBooks.com) Der Film über ihn heißt: ‚American Radial: The Trials of Norman Finkelstein‘.

Anmerkung d. Übersetzerin

*Autor von ‚Die Holocaust-Industrie‘

Zum Nahostkonflikt ist auf Deutsch von ihm erschienen:

‚Palästina. Meine persönliche Begegnung mit der Intifada‘ (2003 bei Dederichs)

„Eine weitere Verletzung der Menschenrechte“ – Israel sperrt Grenze zu Ägypten

„Eine weitere Verletzung der Menschenrechte“

Nach Absperrung der Westbank will Israel auch die Grenze zu Ägypten zumauern.

Ein Gespräch mit Sigal Rosen Sigal Rosen ist Leiterin der 1998 gegründeten israelischen Non-Profit-Organisation »Hotline for Migrant Workers« Nach der Absperrung der palästinensischen Westbank will Israel nun eine zweite Mauer an der Grenze zu Ägypten bauen. Die »Hotline for Migrant Workers« hat das scharf kritisiert – warum?

Weil es eine weitere Verletzung der Menschenrechte bedeutet und weil diese Mauer schlichtweg sinnlos ist. Aus einem einfachen Grund: Wenn die Regierung, wie sie behauptet, den Zustrom von Migranten stoppen will, dann sollte sie nicht die Grenze zu Ägypten ins Visier nehmen, sondern den internationalen Flughafen Ben Gurion. Ein Großteil der arbeitssuchenden Migranten kommt nämlich über einen Zwischenstopp in Tel Aviv ins Land und nicht von Süden. Auf dem Landweg, über die Grenze zu Ägypten gelangen – offiziellen Zahlen zufolge – jedes Jahr nur wenige tausend Menschen hierher. In den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres waren es keine 3000, und von denen waren, wie sich herausstellte, bloß 1000 auf der Suche nach einem Job. Im selben Zeittraum aber stellte das Innenministerium 120000 Personen, die über den Flughafen einreisten, eine Arbeitserlaubnis aus. Deshalb sehe ich keinen Grund, warum man ein so großes Projekt wie diesen Mauerbau starten sollte.

Die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu behauptet, dieses Projekt diene langfristig dazu, die jüdische Bevölkerungsmehrheit Israels sicherzustellen, die durch den Zustrom zu vieler Ausländer gefährdet sei. Liegt darin das Motiv?

Die Regierung erzählt viel, wenn der Tag lang ist, aber dieses Bauprojekt ist lediglich ein Signal an die verunsicherte Bevölkerung – sie erlebt eine Wirtschaftskrise, in der viele ihren Arbeitsplatz verlieren, wofür dann vielfach der Zustrom von Migranten verantwortlich gemacht wird. Dabei spielt es keine Rolle, daß die Ursachen in Wirklichkeit ganz andere sind. Die Einwanderer verrichten in unserem Land – wie in allen anderen reichen Ländern auch –, zumeist niedrige und anstrengende Arbeiten, für die sich die lokale Bevölkerung zu schade ist. Diese Vorurteile greift Netanjahu auf, indem er den Israelis sagt: »Schaut her – die Regierung tut etwas Konkretes und trägt ihren Teil dazu bei, um die Zuwanderung zu stoppen.« Das beruhigt die Leute zwar, hebelt aber zugleich das Asylrecht aus. Warum? Weil wir es hier mit einem ernsten Problem zu tun haben, das vieleAfrikaner betrifft, die aus den Kriegsgebieten zum Beispiel im Sudan oder am Horn von Afrika fliehen. Die Regierung wiederholt immer wieder, Israel habe das Recht, entlang einer anerkannten Grenze eine Barriere zu errichten. Okay, aber wir haben auch Pflichten: Unser Land hat nämlich eine internationale Resolution zum Thema politische Flüchtlinge unterzeichnet und muß diese auch einhalten.

Aber: Wie können nach dem Bau dieser neuen Mauer noch Asylsuchende ins Land kommen? Wird die Grenzpolizei die Dokumente und den Status von Männern, Frauen und Kindern, die zu uns wollen, unter diesem Gesichtspunkt prüfen und ihnen Einlaß gewähren? Das würde ich stark bezweifeln. Außerdem sollten wir nicht vergessen, wie brutal Ägypten mit den Afrikanern umgeht, die nach Israel zu gelangen versuchen. In den vergangenen Jahren schreckten sie nicht einmal vor dem Einsatz von Schußwaffen zurück, Dutzende wurden dadurch getötet. Im Gegensatz zu anderen lehnt die »Hotline for Migrant Workers« eine Unterscheidung zwischen Asylsuchenden und Arbeitsmigranten ab.

Wieso?

Unsere Position ist klar: Wer vom Süden her einreist, will Asyl. Punkt! Es ist uninteressant, ob derjenige dann auch eine Arbeit sucht, wenn er erst einmal in Israel ist. Die Regierung muß anerkennen, daß die Afrikaner, die zu uns wollen, Menschen sind, die einen Krieg hinter sich haben und Zuflucht suchen. Ein Migrant ist eben immer auf der Suche nach einem besseren Leben und irgendeiner Arbeit, um zu überleben.

Interview: Raoul Rigault *

Aus: junge Welt, 20. Januar 2010

http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Palaestina/aegypten.html

Und was ist mit der anderen Mauer?

Entnommen aus Alles Schall und Rauch Blog

Die Deutschen freuen sich über den Mauerfall während die Palästinenser zuschauen müssen wie ihre Mauer grösser und immer länger wird.

Meine persönlichen Erlebnisse bleiben mir gut in Erinnerung, denn ich war von 1972 an oft in Westberlin, hatte gute Freunde dort, bin über Check-Point Charley in den Osten rüber und hab gesehen wie schmerzhaft für die Menschen eine getrennte Stadt sein kann. Erlebte die Kontrollen, sah die Panzersperren und den Stacheldraht. Wärend auf dem Ku’damm Verkehrschaos herrschte, konnte man auf der Karl-Marx-Allee Fussball spielen, so wenig Autos fuhren dort. Der Unterschied zwischen der Welt des Kadewe und des real existierenden Sozialismus konnte nicht grösser sein.

Als dann die Mauer sich im November 1989 öffnete, die Menschen in Strömen „rüber“ kamen und sich überglücklich in die Arme fielen, war ich auch voller Emotionen. Mein Bruder und ich nahmen den nächsten Flieger von Zürich nach Berlin und wir waren mitten drin im Geschehen, sahen die unglaubliche Veränderung, an die keiner nur Wochen vorher geglaubt hatte. Ja, ein Stück der Mauer hab ich auch mitgenommen, dieser Betonbarriere die solange als Symbol der menschenfeindlichen Diktatur dastand. Die Freude war gross.

Nur jetzt, für mich und für viele Menschen im Nahen Osten und überall auf der Welt, ist dieses zwanzigjährige Jubiläum auch mit dem schmerzlichen Gedanken verbunden, es gibt eine andere Mauer die niedergerissen werden muss. Der überhohe Betonwall und Stacheldrahtzaun der quer durch Westjordanland geht, der genau wie damals Berlin und Deutschland aufteilte, jetzt quer durch Palästina verläuft, Familien, Dörfer und Städte trennt und sie von der Aussenwelt aussperrt.

Bald ist Weihnachten. Wenn Maria und Josef, sowie die heiligen drei Könige, heute nach Bethlehem wollten, sie kämen gar nicht rein, die Stadt ist durch eine 8 Meter hohe Mauer umgeben, die schweren Stahltore sind geschlossen und von den Wachtürmen wird jede Bewegung beobachtet und auch daraus auf Menschen geschossen.

Was gestern mit einer grossen Party in Berlin gefeiert wurde, die Öffnung und Verschwinden der Mauer, von dem können die Palästinenser nur träumen. Sie erleben jetzt in diesem Augenblick der Feier und Freude in Berlin, die unmenschlichen Konsequenzen der Trennung, fürchten sich vor dem Todesstreifen und leben eingemauert in einem grossen Gefängnis. Nur, haben die Palästinenser nicht genau so das Recht in einem ungeteilten Land zu leben, genau wie die Deutschen?

Für mich ist es ein Hohn, wenn genau die Leute sich in Berlin feiern lassen, welche gleichzeitig alles tun damit eine andere Mauer in Palästina steht. Ja Merkel, du bist damit gemeint. Eine Mauer welche in ihrer Höhe und Brutalität, die in Berlin lächerlich klein aussehen lässt. Diese Heuchelei und Doppelmoral ist unerträglich! Man stelle sich vor, ausgerechnet Henry Kissinger und Zbigniew Brzeziński wurden als Ehrengäste eingeladen. Das Stelldichein der Massenmörder und kalten Krieger!

Damals wurde die Mauer vom stalinistischen DDR-Regime als “antifaschistischer Schutzwall” bezeichnet. Heute beschreibt das Regime in Israel ihre Mauer verharmlosend als „Antiterrorzaun“, um die illegalen Siedlungen zu schützen, die wie Krebsgeschwüre überall errichtet werden und ständig sich vergrössern. In den letzten 60 Jahren hat man den Palästinensern ein Stück ihrer Heimat nach dem anderen genommen, einfach enteignet, ja brutal gestohlen. Sie wurden in immer kleiner werdende „Reservate“ und Gettos zurückgedrängt und eingepfercht, damit die jüdischen Einwanderer aus fremden Ländern sich ansiedeln können und mehr „Lebensraum“ bekommen.

Statt dass die Zuwanderer sich integrieren, wird eine rassistische „nur für Juden“ Politik gefahren, die Palästinenser dürfen nicht mehr dort sein, werden vertrieben und ausgesperrt. Es wird eine Grenze quer durch das Land gezogen, welche Familien und Freunde von einander trennt, Schüler von ihren Schulen, Studenten von ihren Universitäten, Arbeiter von ihrem Arbeitsplatz und Bauern von ihren Feldern. Die Bevölkerung in Palästina leidet und lebt als Nation in einem Gefängnis.

Laut B’Tselem, die israelische Menschenrechtsgruppe, hat die Mauer eine halbe Million Palästinenser vom Rest des Westjordanlandes abgeschnitten. Wohngemeinschaften sind zwangsweise auseindergerissen. Nicht wie vor 20 Jahren in Deutschland, sondern jetzt und heute.

Bereits vor fünf Jahren hat der Internationale Gerichtshof das Urteil gefällt, Israel muss mit dem Mauerbau aufhören, sie wieder entfernen und muss den Palästinensern eine Entschädigung zahlen. Die UNO-Vollversammlung hat mit überwältigender Mehrheit diesem Urteil zugestimmt. Nur die israelische Regierung kümmert dieses Urteil und der Wille der Weltgemeinschaft einen Dreck. Seit diesem Urteil hat sich die Länge der Trennungsmauer verdoppelt und wird noch um ein Drittel wachsen.

Das DDR-Regime hat damals die Mauer aus ihrer Sicht errichten müssen, weil sonst ihr Herrschaftsbereich zusammengebrochen wäre, das Land wäre ausgeblutet und der westliche Einfluss hätte das kommunistische Gesellschaftssystem „zersetzt“. Es war eine „Selbstverteidigung“ vor dem „bösen Westen“. Was sie mit der Mauer erreicht haben war aber nur eine zeitliche Verzögerung ihres Endes, welches in den 28 Jahren ihres Bestehens furchtbar viel Leid verursachte. Das unvermeidbare konnte nicht verhindert werden. Die Mauer war bereits bei der Errichtung das Eingeständnis ihres Versagens.

Genau so verhält es sich in Palästina. Die Notwendigkeit der Errichtung einer Mauer ist das Zeichen eines völligen Versagens und Unhaltbarkeit der rassistischen Politik Israels. Die israelische Regierung behauptet zwar, die Mauer dient nur als Kampf gegen den Terror und Schutz der eigenen Bevölkerung, aber das ist nicht die Wahrheit und klingt genau wie die Ausrede des DDR-Regimes.

Erstens hat der Internationale Gerichtshof ein „Recht auf Selbstverteidigung“ der israelischen Regierung abgesprochen, weil es sich nicht um „Angriffe“ aus einem fremden Land handelt, sondern um eine Barriere in einem einheitlichen Gebiet welches unter israelischer Kontrolle steht.

Zweitens, statt den Grund für den Widerstand der Palästinenser zu lösen, nämlich mit den illegalen Siedlungen aufzuhören, ihnen alle Rechte zu nehmen und sie wie Tiere zu behandeln, wird nur das Symptom bekämpft. Es werden alle Palästinenser als Terroristen bezeichnet und einer Kollektivstrafe unterworfen, einschliesslich Frauen und Kinder. Das ist unter internationalen Recht verboten.

Und drittens, der wahre Grund für die Mauer ist die Verhinderung einer gemischten Gesellschaft. Israel will nicht mit der arabischen Bevölkerung zusammen leben, will nicht eine multikulturelle Gesellschaft sein, sondern ein rein jüdischer Staat bleiben. Ihnen ist bewusst, alleine durch die Geburtenrate würden die Palästinenser innerhalb der nächsten Dekaden die Mehrheit bilden. Das geht selbstverständlich nicht. Deshalb werden alle Nicht-Israelis abgeschoben, hinter eine Mauer eingesperrt, kein Durchgang möglich.

Ausgerechnet die Politiker in Deutschland und allen anderen westlichen Ländern, welche sich für eine multikulturelle Gesellschaft vehement einsetzen, ja die ungezügelte Einwanderung fördern und laufend scheinheilig Toleranz, Akzeptanz und Integration in den christlichen Ländern fordern, sind genau die welche aber die rassistische, intolerante, ausgrenzende Politik Israels gegenüber der moslemisch arabischen Bevölkerung schützen und ermöglichen.

Ja sie beschönigen und entschuldigen die ethische Säuberung, die Vertreibung und die Tötung der Palästinenser, sie finden es sogar gut wenn Israel tausende Tonnen Bomben auf Gaza wirft, auf eine Zivilbevölkerung die völlig wehrlos ist, bei der über 1’400 Menschen ermordet wurden, einschliesslich unschuldige Frauen und Kinder. Sie gehen sogar her und machen alles damit der Goldstone-Bericht, der die Kriegsverbrechen die Israel im Gaza-Krieg begangen hat aufführt und verurteilt, in einer Schublade verschwindet, nicht vor der UNO dikutiert werden darf.

Diese Doppelmoral ist unerträglich und zeigt was sie sind, Heuchler, Lügner und Verräter an der Menschheit. Es gibt keine Untermenschen die nur Tiere sind, die man abschlachten kann, oder Übermenschen die sich jedes Recht herausnehmen können. Hat man uns das nicht seit Ende des II. WK gelehrt? Hat man aus der Geschichte nichts gelernt?

Und zu diesen Heuchlern gehört auch die irische Gruppe U2, die ein Konzert vor dem Brandenburger Tor gestern gab. Bono soll doch mal wirklich zeigen, dass er nicht nur ein Feigenblatt der herrschenden Klasse ist und sich auf ihren Megajachten sehr gerne aufhält, während er viel Geld mit Liedern über Menschenrechte und Frieden verdient, sondern er soll auch ein Konzert vor der Mauer in Palästina geben und sich für deren Entfernung einsetzen.

Menschenrechte gelten überall und für alle. Jeder Mensch hat das Recht auf Freiheit, Selbstbestimmung und Würde. Solange die Palästinenser diese nicht bekommen, wird es nie Frieden im Nahen Osten geben. Sie werden nicht einfach verschwinden, sich in Luft auflösen und auch nicht aufgeben. Nur wenn die israelische Gesellschaft und die Welt das akzeptiert und ihre Einstellung ändert wird es wirklichen Frieden für alle geben.

Gestern wurde der Fall der Mauer in Berlin gefeiert. Nächstes Jahr wird das Ende der Apartheid in Südafrika zelebriert. Diese beiden Ereignisse haben uns gezeigt, wenn diese Barrieren entfernt werden, entweder physische Barrieren, rechtliche Barrieren, oder die Barrieren die Menschen in ihrem Herzen aufgebaut haben, dann ist der Weg für Fortschritt, Frieden und Entwicklung auf beiden Seiten möglich. Die Palästinenser sehnen sich nach Gerechtigkeit, Frieden und Aussöhnung. Mehr als 60 Jahre des Leidens sind genug.

Deshalb, was ist mit der anderen Mauer? Wann wird die endlich abgerissen?

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